Manchmal läßt die SPD sich gerne Zeit

■ Sinan Samat will für die SPD in den Bundestag. Doch der deutsche Türke ist chancenlos. Seine Partei schickt ihn zur Bewährung an die Basis

Berlin (taz) – Wenn man der Geschichte von Sinan Samat nachgeht und seinem Versuch, als einer der ersten MigrantInnen für die SPD in den Bundestag einzuziehen, dann stößt man immer wieder auf eine variable Größe: Zeit. Wenn man verstehen will, warum die Partei so gar nicht willens scheint, den Jurastudenten heute auf einen sicheren Listenplatz zu setzen, fällt auf, wie unterschiedlich das SPD-Mitglied Samat und die Partei in seinem Heimatland Rheinland-Pfalz Zeit messen.

„Ich bin 27 Jahre alt“, sagt Sinan Samat, „als ich mit meiner Aktion anfing, war ich 25.“ Eine lange Zeit, sollte man meinen, die der junge Mann mit deutschem Paß bereits darauf verwendet hat, bundesweit Unterstützer für seine geplante Bundestagskandidatur zu organisieren. „Eineinhalb Jahre“, seufzt hingegen Werner Steinmann, der Vorsitzende des Ortsvereins, dem auch Samat angehört, „in der SPD sind eineinhalb Jahre eine sehr, sehr kurze Zeit.“

Energisch forderte die von Samat gegründete „Migrantenaktion für ein Bundestagsmandat“ die Unterstützung der Partei für ihren Kandidaten. Windelweich antworteten die Parteioberen der SPD in Land und Bund. Mehr als 10.000 MigrantInnen, sagt Samat, hätten sich seit 1996 mit Solidaritätsadressen an den SPD-Landesvorstand in Mainz gewandt. Das Problem: „Nur ganz wenige der Unterstützer sind aus Rheinland-Pfalz. Herr Samat macht seine Politik außerhalb der Landesgrenzen“, sagt Landesgeschäftsführer Roger Lewentz. „Verständnis habe ich von allen Flügeln der Partei, aber Verständnis alleine reicht in der Politik nicht“, kontert Samat. Lewentz' Vorschlag, er solle sich vier Jahre lang im Ortsverein bewähren und bei der Wahl 2002 erneut antreten, vermag er wenig abzugewinnen. Auch für Multikulti-Symbolik ist der Jurastudent nicht zu haben. Auf der heutigen SPD-Landeskonferenz kandidiert er nur um die heißbegehrten sicheren Listenplätze.

Ein sehr netter Kerl sei Sinan Samat, sagt sein Unterbezirkschef Karl Kronauer, „aber eben nicht fest eingebettet in die Strukturen der Partei“. Doch just das Beharren auf alten Mustern könnte sich für die SPD als Gefängnis erweisen. Eine Million MigrantInnen bekämen in Deutschland demnächst einen Paß und hätten Wahlrecht, schätzt Samat. Der SPD gehe ein enormes Wählerpotential verloren, wenn sie nicht schon bald einen wie ihn aufstelle. Ach, sagt Ortsvereinschef Steinmann melancholisch, die Gleichberechtigung von Mann und Frau stehe doch auch schon seit 1949 im Grundgesetz – „und bis wir sie halbwegs umsetzen konnten, hat es 40 Jahre gedauert“. Der Jungspund mit Ambitionen und die Altpartei mit Vorbehalten messen die Zeit einfach mit zweierlei Maß. Patrik Schwarz