Der ewige Oppositionelle

Gesichter der Großstadt: Wolfgang Wieland, der langjährige Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus, feiert heute seinen 50. Geburtstag  ■ Von Dorothee Winden

„Manchmal komme ich mir vor wie der letzte Mohikaner“, sagt Wolfgang Wieland. Doch das klingt keine Spur resigniert, sondern selbstironisch. Die politischen Weggefährten aus den 68er- Zeiten haben sich längst aus der Politik zurückgezogen. Und Wieland, Gründungsmitglied der Alternativen Liste und langjähriger Fraktionschef der grünen Abgeordnetenhausfraktion, wird an seinem 50. Geburtstag heute im Innenausschuß erleben, wie alle grünen Änderungsanträge zur Bezirksreform ratzbatz niedergestimmt werden.

Neun Jahre hat der stimmgewaltige Innenpolitiker und Rechtsanwalt auf den Oppositionsbänken verbracht – von April 1987 bis März 1989 und dann wieder seit Januar 1991. Wie man das aushält? Nur mit einer ungeheuren Gelassenheit. „Ich bin kein Hektiker, der auf schnelle Erfolge aus ist. Das ist nicht mein Zeithorizont“, sagt Wieland. „Direkt haben die 68er nichts erreicht, aber unter der Haut haben wir die gesamte Gesellschaft verändert.“

Das läßt sich beispielsweise daran ermessen, daß das von gegenseitigem Feindbilddenken geprägte Verhältnis von Grünen und Polizei in den letzten Jahren aufgebrochen ist. Vor Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, daß die grüne Parteibasis eine Zusammenarbeit mit der Polizei in Präventionsräten akzeptiert. „Das war ein mühsamer Prozeß in beide Richtungen“, so Wieland, der daran maßgeblich beteiligt war. Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen in Richtung Polizei gehören nicht nur Wielands Grußworte in der Ballzeitung der Gewerkschaft der Polizei (GdP). In Polizeikreisen ist Wieland ein geschätzter Diskussionspartner. Wenn der grüne Innenpolitiker bei Fortbildungsveranstaltungen der Polizei als Referent angekündigt ist, ist der Andrang stets am größten. Und bei einer GdP-Veranstaltung mit dem früheren New Yorker Polizeipräsidenten Bill Bratton erhielt Wieland von den Polizisten weitaus mehr Beifall als Polizeipräsident Hagen Saberschinsky.

Als Redner brilliert Wieland durch Wortwitz und ironische Übertreibung. Als bester Redner nach CDU-Einpeitscher Klaus Landowsky gilt er selbst in der CDU-Fraktion. Seine grünen FraktionskollegInnen schätzen Wieland vor allem wegen seiner Integrationsfähigkeit und Verläßlichkeit. Als 1993 zahlreiche Ostberliner Abgeordnete wegen der – als zu weitgehend empfundenen – Unterstützung der Anti-Olympia- Bewegung um ein Haar die Fraktion verlassen hätten, war es Wolfgang Wieland, der sie in persönlichen Gesprächen davon abhielt. Als er kürzlich nach fünf Jahren den Fraktionsvorsitz aufgab, bedauerten dies viele. Wieland scherzte: „Ich will mir doch nicht irgendwann von Jens Augner von der Grünen Jugend sagen lassen, er kenne nur Kohl und Wieland.“

Wielands politischer Lebensweg ist verschlungen. In seiner Frankfurter Schulzeit war der gebürtige Berliner in der kirchlichen Friedensbewegung aktiv. Nach einem Zwischenspiel bei den Jungdemokraten stieß Wieland 1967 als Jurastudent in Berlin zur „Roten Zelle Jura“. Später sympathisierte er mit dem maoistischen Kommunistischen Studentenverband. Mitglied wurde er nie. „So realitätstüchtig war ich schon immer.“

Als Gerichtsreferendar engagierte sich Wieland Anfang der 70er Jahre in der ÖTV. Der Marsch durch diese Institution endete mit einem raschen Rausschmiß. Als ÖTV-Fachgruppenvorsitzender hatte Wieland für eine Zeitungsanzeige von 124 Gerichtsreferendaren verantwortlich gezeichnet. Darin wurde eine bessere medizinische Betreuung der RAF-Häftlinge eingefordert, die sich damals im Hungerstreik befanden.

1976 ließ sich Wieland als Anwalt nieder. Doch aus dem Schatten des ersten Sozialistischen Anwaltskollektivs, dem auch Christian Ströbele angehörte, konnte er nie ganz heraustreten. „In der zweiten Generation konnte man fachlich so gut sein, wie man wollte, man kam nie an den Bekanntheitsgrad der Heroen der ersten Stunde heran“, stellt Wieland fest.

Für die Arbeit als Anwalt blieb in den letzten Jahren kaum Zeit. Ausnahme: Der sogenannte Mykonos-Prozeß um die Ermordung von vier Exil-Iranern durch den iranischen Geheimdienst wurde durch eine nicht erwartete Verfahrenslänge von nahezu zwei Jahren zum Kraftakt neben der Parlamentsarbeit.

Auch die Familie – Wieland ist Vater von zwei erwachsenen Töchtern – wurde dem Primat des Politischen untergeordnet. Selbst im Urlaub liest Wieland politische Sachbücher. Und doch kann er sich vorstellen, mit 55 Jahren aus der Parteipolitik auszusteigen – „vielleicht um Gerichtsreportagen zu schreiben“.

Doch zuvor noch einmal ein rot- grünes Bündnis „auf die Schiene zu setzen“, das wäre Wielands Traum. Aus den Fehlern des ersten rot-grünen Bündnisses von 1989/1990 hat er gelernt. „Eine Koalitionsvereinbarung muß so vollstreckbar sein wie ein Gerichtstitel.“ Sie dürfe keine strittigen Fragen offenlassen.

SPD-Fraktionschef Klaus Böger, der Wieland privat schon seit 1968 kennt, wünscht dem ewigen Oppositionellen: „daß er die Chance bekommt sein rhetorisches Talent auch einmal in politisches Handeln umzusetzen“.