„Ausverkauf des Schweizertums“

■ Der Wandel an Schweizer Theatern hat auch mit dem grassierenden Rechtspopulismus zu tun. Ein Gespräch mit Werner Düggelin, dem Elder Statesman des Schweizer Theaters

Werner Düggelin war von 1968 bis 1975 Basler Intendant und führte Regie in Stuttgart, Düsseldorf, Darmstadt und an der Wiener Burg. Zusammen mit Thomas Langhoff und Peter Iden saß er in der Findungskommission, die Christoph Marthaler nach Zürich holte.

taz: Wie erklären Sie sich, daß es gerade jetzt zum Umbruch in der Schweizer Theaterszene kommt?

Werner Düggelin: Frage ich mich selbst. Ich habe das nicht erwartet und bin überrascht. Ein Grund ist auf jeden Fall, daß in den Schweizer Entscheidungsgremien inzwischen jüngere Leute sitzen. Zürich zum Beispiel hat jetzt einen tollen Stadtpräsidenten, Josef Estermann, der eine entscheidende Stimme im Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft des Schauspielhauses hat. Die Stadt hält ja die Aktienmehrheit, und Stadtpräsident Estermann ist ein Glücksfall für die Züricher Kultur.

Könnte hinter der Schweizer Umbruchsituation nicht auch die Angst stecken, den Kontakt zu Resteuropa zu verlieren?

Würde das mitspielen, wäre das völlig in Ordnung. In Wirklichkeit ist die Erkenntnis, daß die Schweiz den Kontakt verliert, bei uns noch nicht weit genug verbreitet. Im Moment haben noch grausame Rechtspopulisten das Sagen, wie der unsägliche Christoph Blocher von der Schweizer Volkspartei. Hinter deren Abwehr auch der EU steckt in Wirklichkeit eine ungeheure Arroganz der Schwäche.

Welche Auswirkungen hat das auf die Kulturpolitik?

Daß alles Fremde als Ausverkauf des Schweizertums denunziert wird. Populisten wie Blocher haben seit dem Ende des Ost- West-Konflikts eigentlich ein Problem: Sie können nicht mehr so tun, als zerstörten Kommunisten das Schweizer Volkstum. Also tritt die Schweizer Rechte inzwischen auf geschicktere Art und Weise auf, als das zum Beispiel in Frankreich und Österreich der Fall ist.

Wo liegt der Unterschied zwischen Blocher und Figuren wie Haider und Le Pen?

Blocher ist klüger und würde niemals offen ausländerfeindlich sein oder den Holocaust leugnen. Einen Le Pen können Sie eindeutig orten, einen Blocher nie. Der Effekt ist, daß Frankreichs Protestwähler Le Pen wählen, während der Schweizer Rechtswähler vom Typ her einer ist, der sich gegen kleinste Veränderungen wehrt.

Und warum verändert sich die Schweizer Theaterszene trotzdem derart vehement?

Weil auch die Mehrzahl der Schweizer Besitzstandswahrer eine zu extreme Volkspartei nicht aufkommen lassen wollen.

Ist der Umbruch im Schweizer Theater für Sie also auch eine Reaktion auf grassierenden Rechtspopulismus?

Würde ich so sagen. Ich glaube aber auch, daß es für jede Schweizer Stadt schwierig gewesen wäre, einen derart erfolgreichen Schweizer wie Marthaler abzuwehren. Interview: Jürgen Berger