Rüffel für die Schmuddelkinder

In eigener Sache: Vor zehn Jahren erschien sie – die sogenannte „Pornoseite“ in der taz führte zum Frauenstreik. Zum Jubiläum dokumentieren wir die Skandalseite. Im Archiv an weitere Ausgrabungsarbeiten machte sich  ■ Harald Keller

Gelegentlich wird sie noch an den Haaren herbeigezogen, wenn's der Wahrheitsbeugung dient: jene ominöse „Pornoseite“, die es dereinst einmal in der taz gegeben haben soll. Es war schon die zweite Seite in der taz, die diesen Titel verliehen bekam, nachdem 1980, ein Jahr nach der Gründung, eine vermeintliche Porno-Satire auf der Leserbriefseite für Aufregung gesorgt hatte. Das Skandalon von 1988 ist der Hermeneutik nicht umstandslos zugänglich. Auf der CD-ROM „Zehn Jahre taz“ fehlt es, weil die fraglichen Beiträge ursprünglich nur auf den Berliner Lokalseiten erschienen waren.

Auffindbar sind die Reaktionen. Neben wütenden Wortlawinen, manch wehleidigem Heuchelwort vergrüppelter taz-Männer stehen da Interviewaussagen Elfriede Jelineks, die die sogenannte „Pornoseite“ eingangs zwar harsch ablehnt, durch ihre theoretischen Aussagen zum Thema Pornographie dann aber indirekt legitimiert: „Das Obszöne ist dann gerechtfertigt, wenn man den Beziehungen zwischen Männern und Frauen die Unschuld nimmt und die Machtverhältnisse erklärt.“

Die Unschuld ging fürwahr zum Teufel, nachdem am 9. März 1988 in der Berliner Ausgabe der taz eine, so sieht es die Mitinitiatorin Sabine Vogel heute, „gegen die Qual des Internationalen Frauentages“ gerichtete, uneigentliche „Pornoseite“ erschienen war (siehe Dokumentation S. 14).

Zwei Frauen und ein Mann erfanden die Seite

Die Tatsache, daß zwei Frauen, neben Sabine Vogel noch Gabriele Riedle, verantwortlich zeichneten, ward schnell verweht in den Wirbeln des nachfolgenden Proteststurms; der Zorn entlud sich über dem damaligen Hilfsredakteur Helmut Höge und Wiglaf Droste, der das Medienressort betreute. Am Erscheinungstag waren Höge, Riedle und Vogel, Böses ahnend, der obligaten Redaktionskonferenz ferngeblieben.

Droste, der nur eine skeptische Glosse zu der Seite beigesteuert hatte, stolperte hingegen arglos in die Kantine, wo fleißige Hände bereits Kopien der anstößigen Miszellen unverrückbar auf dem geschichtsbeladenen Kommune-1- Tisch geklebt hatten. Renée Zucker schrieb später über das nun folgende Kriegsgericht: „Ich muß an strafende Mütter denken, Hausarrest, Fernsehverbot, Taschengeldentzug. ...irgendwas stimmt hier nicht, aber das kann man nicht sagen...“

Die Mehrheit der taz- Mitarbeiterinnen votierte für einen Streik, um darauf aufmerksam zu machen, daß sich, so die Verlautbarung des Frauenplenums, „in dieser Zeitung inzwischen ein gelangweilter Zynismus Menschen und gesellschaftlichen Zuständen gegenüber breitmacht. Die professionelle Abstumpfung allen Inhalten gegenüber hat zugenommen, was sich sowohl in der Zeitung als auch im Projekt niederschlägt.“

Dieses ursprüngliche Anliegen wurde von vielen SympathisantInnen indes gar nicht wahrgenommen oder im Eifer des Gefechts aus den Augen verloren, auch wenn die Streikinitiatorinnen gelegentlich noch darauf hinwiesen, daß die sog. „Pornoseite“ „lediglich Anlaß, aber nicht Motiv für unseren Streik ist“.

Die totale, ja totalitäre Ablehnung jeglichen wägenden Gedankens muß ihnen selbst mit der Zeit unheimlich geworden sein. Immerhin erregte die Aktion einiges Aufsehen: Überregional berichteten die Medien über die Aktion. Der Spiegel beispielsweise fand die Seite „sekundanerhaft“ und berichtete ansonsten etwas verwundert über den Konflikt zwischen der Forderung nach „Unartenschutz“ und der zur „respektablen radikalökologischdemokratischen Tageszeitung“ führenden Entwicklung. Die Leser waren nicht etwa sauer, daß sie keine richtige Zeitung bekamen, sondern schickten en gros Solidaritätsadressen, heute Fundgruben zeittypischen Sprachkitsches: „Bei solchen Bildern kann ich nur mit Angst, Wut und Hilflosigkeit reagieren, und dann ist eine echte Auseinandersetzung nicht möglich.“ Oder: „Laßt Euch bloß nicht erpressen mit dem Vorwurf, Eure Reaktionen seien emotional statt argumentativ. (...) Argumente sind (...) beliebig; sie können in Denkmustern hin und her geschoben werden wie Steine auf einem Spielbrett.“

Beflissen richteten Anbiedermänner Verschenktexte an die Leserinnen mit analytischen Meisterleistungen wie der folgenden: „Von der theoretischen Grundlage (Ideologie) der patriarchalischen Frauenverachtung bis zur Unterwerfung, zur Vergewaltigung, zur Folter und zum Frauenmord in der Praxis durch den Mann ist dies nur ein Schritt.“ Gerne auch schienen sie sich unter dem Deckmäntelchen der Empörung an imaginären Perversionen zu ergötzen, die der inkriminierten Seite mutwillig zugeschoben wurden, dort aber gewiß nicht zu finden waren: „Daß jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger und Mörder/Folterknecht ist, zeigt sich in der alltäglichen Praxis, unter anderem von amnesty international (...) auf erschütternde Weise dokumentiert. Hier wird dann die harmlose ,Chiquita- Banane, die zur Hälfte in einer Möse verschwunden ist‘ (...) zum Folterwerkzeug, das mit Gewalt in die Vagina gepreßt wird.“

Streikfazit: Einrichtung einer „Sexismus-AG“

Begriffsstutzig warfen die WortmelderInnen einiges durcheinander, denn nicht alles, was mit entkleideten Menschen zu tun hat, ist schon Pornographie, und Sexismus meint geschlechtsbedingte Ungleichbehandlung, nicht aber die simple Abbildung oder Erwähnung erotischer Verrichtungen. Ein unvermindert wirksamer Irrtum, wie erst jüngst der absurde Trubel um eine in der taz Bremen erschienene Karikatur von Til Mette erneut zutage brachte.

Am 12. März titelte die taz schließlich: „taz-Frauen-Streik beendet. Die Forderungen der Frauen wurden angenommen.“ Das Resultat: Höge, Droste und Vogel durften sich über ein paar Tage Zwangsurlaub freuen.

Ferner wurde beschlossen, die UrheberInnen sexistischer Beiträge fortan abzumahnen, WiederholungstäterInnen zu entlassen und eine „Sexismus-Arbeitsgruppe“ einzurichten. Das Schlußkommuniqué belegt abermals, wie tollkühn doch mit der deutschen Sprache umgegangen wurde von Leuten, die ihren Kolleginnen und Kollegen gern Sensibilitätsmängel bescheinigten: „Werden nun endlich Vergewaltigung, Abtreibung, Pornographie und der Spaß, eine Frau heimlich zu quälen, Themen dieser elitären Männerrunde?“

Wären die Redakteure auf diese Themenvorschläge tatsächlich eingegangen – sie hätten sich schon mal nach einem aufnahmewilligen Asylland umsehen können.