■ Die Grünen: Törichte Kontroverse über außenpolitische Positionen
: Unnötiges Eigentor

Haben die Grünen auf dem Weg in die Regierung bereits zum Wahlkampfauftakt entscheidend gepatzt? Einige Reaktionen auf dem Parteitag legen diesen Schluß nahe. Wenn in der Debatte um den Bosnien-Einsatz ein Redner den Abzug der Nato- Truppen fordert und damit den letztlich erfolgreichen Antrag begründet, stellt sich die Frage: Sind die Grünen gegen eine militärische Befriedung im früheren Jugoslawien? Die Antwort lautet: ja und nein.

Es hätte alles so einfach sein können. Als Joschka Fischer im vergangenem Herbst einen Teil des außenpolitischen Wahlprogramms seiner Partei als realitätsuntauglich anprangerte, setzte er nach jahrelangen Debatten um die Friedenspolitik eine letzte Runde in Gang, mit dem Ziel, die Diskussionsergebnisse wahlkampftauglich zu formulieren. In den Fragen Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Nato und Perspektiven der Bundeswehr gelang es schließlich, die Mehrheit der Partei auf Formulierungen festzulegen, die sich daran orientieren, was innerhalb einer Legislaturperiode politisch möglich ist.

Wie immer man langfristig über die Zukunft der Nato als ein Element einer europäischen Sicherheitsordnung denkt, niemand bei den Bündnisgrünen plädiert dafür, jetzt und allein aus der Nato auszusteigen. Einem deutschen Sonderweg in der Außenpolitik ist wiederholt eine klare Absage erteilt worden. Auch Leute, die immer noch davon träumen, daß Armeen einmal überflüssig werden könnten, wollen in den nächsten vier Jahren die Bundeswehr nicht abschaffen. Vielleicht die Wehrpflicht und einen Teil der Sollstärke der Truppe, ebenso am liebsten die Krisenreaktionskräfte und den Eurofighter. Da bewegen die Grünen sich durchaus innerhalb der Bandbreite der meisten europäischen Parteien.

Im Prinzip sind die Bündnisgrünen sich sogar zu Bosnien einig. Die Bundeswehr soll sich an friedenserhaltenden Einsätzen der UNO beteiligen. Nun ist der Nato-Einsatz in Bosnien ein UNO-Auftrag nach Kapitel VII, eine sogenannte friedenserzwingende Maßnahme. Tatsächlich agieren die SFOR-Truppen in der Praxis wie nach Kapitel VI, in dem die Aufgaben friedenserhaltender Truppen beschrieben wird.

Die Führung der Grünen, von Trittin bis Fischer, war sich bis kurz vor dem Parteitag einig, nicht mehr in die Details des UN-Rechts einzusteigen, sondern im Wahlprogramm lediglich festzuhalten: die Grünen sind gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr „out of area“. Weil dies formal dem Bosnien-Einsatz wiederspricht, wollte ein Teil der Partei eine Präzisierung. Heraus kam ein komplizierter Kompromißvorschlag, den ein großer Teil des Parteitages kaum noch nachvollziehen konnte und dem sich deshalb viele verweigerten. Zu viele. Zum Schluß fehlte den Vorleuten eine Stimme, und das Desaster war da.

Das Mißtrauen vieler Delegierter richtete sich nicht gegen den konkreten Einsatz in Bosnien, sondern gegen einen Beschluß, dem sie unterstellten, daß die Grünen damit die Tür zu beliebigen Kampfeinsätzen weltweit aufmachen. Das will die Mehrheit der Grünen nach wie vor zu Recht nicht. Seit Ende des Kalten Krieges wird darüber diskutiert, wie militärische Drohungen durch zivile Konfliktlösungen ersetzt werden können. Die UNO zu stärken und zur Konfliktmoderation zu befähigen, ist das gemeinsame Anliegen der Grünen. Daß auf dem Weg dahin, wie jetzt in Bosnien, der Einsatz von Militär notwendig bleiben wird, ist auch bei den meisten Grünen unumstritten.

Die Zurückhaltung von Fischer und Trittin und letztlich Pannen der Regie haben dazu geführt, daß der Parteitag entgegen der Realität ein Bild des Jammers in der Außenpolitik geboten hat. Das ist kein GAU, sondern eine GAD, die „Größte Anzunehmende Dummheit“. Besonders fatal könnte sich diese Dummheit für die bevorstehende Wahl in Sachsen- Anhalt auswirken. Das Schicksal der Bündnisgrünen in den neuen Ländern hängt am seidenen Faden. Es wäre schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet eine eigentlich bereits ausgestandene Debatte, die noch dazu im Osten kaum eine Rolle gespielt hat, jetzt dazu führt, den Seidenfaden zu kappen. Jürgen Gottschlich