Ruanda zwischen Hunger und Krieg

■ Während die Hutu-Rebellenangriffe im Westen Ruandas zunehmen, leidet die Bevölkerung auch unter Mißwirtschaft und Mißernten

Brüssel (taz) – Die Guerilla aus Kämpfern der für den Völkermord von 1994 mitverantwortlichen ehemaligen Hutu-Armee und Hutu- Milizen in Ruanda ist dabei, sich im Lande zu verankern. Bei den bisher schwersten Gefechten zwischen der Armee der herrschenden von Tutsi dominierten „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF) und den Rebellen sind nahe der Stadt Gitarama bis zum Wochenende nach Armeeangaben 128 Rebellen und 8 Soldaten ums Leben gekommen. Bemerkenswert war, daß die Rebellen in Formationen von mehreren tausend Kämpfern angriffen und ihre Attacken von Basen in den nordwestlichen Bezirken Gisenyi und Ruhengeri aus starteten. Bisher waren die Rebellengruppen kleiner und kamen zumeist aus dem Nachbarland Kongo.

Die Rebellen rekrutieren inzwischen Hutu-Dorfjugendliche in den Dörfern und haben im Nordwesten Ruandas offenbar genausoviel Unterstützung wie die Armee. Diese versucht, Dorfmilizen aufzubauen, um die Kontrolle zu erhalten. Aber die Mittel der Regierung sind begrenzt, denn bereits die Hälfte des Staatshaushalts geht in die Verteidigung, während die ruandische Wirtschaft eine tiefe Krise durchmacht. Sorge bereitet vor allem die Entwicklung der Lebensmittelproduktion. Seit der Rückkehr der ruandischen Hutu- Flüchtlinge aus Kongo/Exzaire und Tansania, die auf die Rückkehr von Tutsi-Exilanten aus Ruandas Nachbarländern folgte, hat die Bevölkerungszahl das Niveau vor dem Völkermord von 1994 wieder überschritten und liegt jetzt bei über 8 Millionen Menschen. Aber während Ruandas Bevölkerung seit 1984 um 40 Prozent gewachsen ist, hat die Lebensmittelproduktion in diesen 14 Jahren um 14 Prozent abgenommen. Die landwirtschaftliche Produktion entsprach 1997 nur 78 Prozent der Menge von 1990. Der Bestand an Nutztieren wie Schweine und Hühner war 1997 weniger als halb so groß wie 1991, der Rinderbestand lag bei 79 Prozent des damaligen Niveaus.

Gegenwärtig steigen die Preise für Grundnahrungsmittel stark an. Zum Beispiel sind Kartoffeln im vergangenen halben Jahr um das Dreifache teurer geworden – sie kommen vor allem aus dem umkämpften Nordwesten. Im November schätzte der Präfekt des westruandischen Bezirks Gikongoro, 150.000 Menschen seien vom Hunger bedroht. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Regenfälle haben sich 1997 verspätet, und als sie kamen, waren sie so heftig, daß sie die Ernten zerstörten. Außerdem gibt es Streit um Land zwischen zurückgekehrten Tutsi, die Ruanda 1959 beziehungsweise 1973 verlassen mußten, und Hutu- Bauern. Zurückgekehrte Hutu- Flüchtlinge erleben zuweilen, daß sie ihre alten Güter nicht wieder bebauen dürfen. In den Sumpfgebieten von Nyabarongo, südlich der Hauptstadt Kigali nutzen so Viehzüchter ehemaliges Ackerland. Während einfache Leute – Hutu wie Tutsi – unter der Krise leiden, zeigt eine Klasse von Neureichen, die sogenannten „Ibikurankota“, offen ihren Wohlstand.

Die Zeitung Le Tribun du Peuple in Kigali kritisiert „die Führer, die dabei sind, die Bevölkerung um die Seen Mugesera und Kuhazi bedenkenlos zu enteignen, um sich dort Latifundien aufzubauen“. Die Armeezeitung Ingabo bemängelt, daß öffentliche Aufträge vorschriftswidrig an ein Unternehmen vergeben wurden, das einem den Militärführern des Landes nahestehenden Geschäftsmann gehört. Bevor er im Oktober 1997 entlassen wurde, hatte bereits Finanzminister Jean Birara die Korruption in Ruanda verurteilt. Ihm zufolge erreichten nur ein Viertel der Staatseinnahmen die Staatskasse. Vor ihm regten sich zurückgetretene Beamte auf, daß das Verteidigungsministerium sich weigere, Befehle für Anweisungen aus den Kassen der ruandischen Nationalbank zu begründen.

Derzeit ist Ruanda vor allem auf ausländische Hilfe angewiesen. So wurden die vier Teeveredelungsfabriken von Mulindi, Shagasha, Kitabi und Mata mit europäischen Hilfsgeldern wiederhergestellt. Die Teeproduktion, die ein Drittel der Exporterlöse Ruandas einbringt, hat dieses Jahr erstmals wieder das Niveau von 1990 überschritten. Doch die Kaffeeproduktion ist immer noch nur halb so hoch wie damals. Das Programm öffentlicher Investitionen in Höhe von über einer Milliarde Dollar, das die Geldgeber bereits finanzieren, wird vermutlich nicht die erhofften Auswirkungen haben. Das liegt zum einen am Bürgerkrieg, zum anderen aber an der Mißwirtschaft. François Misser