Reihum in Kirchen Schutz finden

In Nordrhein-Westfalen beginnt eine neue Form des Kirchenasyls: Flüchtlinge ziehen von Kirche zu Kirche, um der Abschiebung zu entgehen. Mehr Aufmerksamkeit für besonders gefährdete Gruppen  ■ Aus Köln Markus Dufner

Die Kölner Antoniterkirche ist eine gute Adresse für Menschen in Not. Die evangelische Gemeinde hat zwei Roma-Familien von 1992 bis 1996 das längste Kirchenasyl in Deutschland gewährt. Das wußten auch die zwanzig Kurden, die dort am 21. Januar Schutz vor ihrer Abschiebung in die Türkei suchten. Das großherzige Angebot von Pfarrer Kurt-Werner Pick – „Alle, die kommen, werden Zuflucht erhalten“ – hat sich unter den Illegalisierten schnell herumgesprochen. Fast täglich begaben sich weitere ohne Bleiberecht in den Schutz der Kirche – zuletzt waren es hundert.

Obwohl das selbst für die Antoniter zu viele waren, kann die Aktion dennoch weitergehen. Weil am Samstag ein in Deutschland einmaliges Experiment begonnen hat: das Wanderkirchenasyl. Eine Gruppe von Flüchtlingen wird aus der Antoniterkirche in die 40 Kilometer entfernte Kleinstadt Düren umziehen – um dort Obdach und Schutz vor der Abschiebung zu finden. Die Mobilisierung anderer Gemeinden läuft auf Hochtouren. Reihum sollen die Kurden von Kirche zu Kirche ziehen. Pastor Pick hat inzwischen die Vision einer Kirchenvolksbewegung, die ganz Nordrhein-Westfalen erfaßt.

Soweit ist es noch nicht. Bis heute haben Protestanten in acht Kölner Gemeinden mit dem biblischen Gebot „Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen“ Ernst gemacht und Flüchtlinge aufgenommen. Für die Presbyterien besteht kein Zweifel: Wenn diese Menschen in die Türkei abgeschoben werden, droht ihnen Gefahr an Leib und Leben.

Flüchtlingsinitiativen in den Niederlanden haben mit der Asylstafette zwischen den Kirchengemeinden gute Erfahrungen gemacht. „Ziel des Wanderkirchenasyls ist es, eine breite Öffentlichkeit für die Situation illegalisierter Flüchtlinge zu sensibilisieren“, erklärt Martin Rapp von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“. Im Unterschied zum üblichen Schutz in Kirchen bietet das Wanderasyl nicht einzelnen Flüchtlingen Obdach. Es geht um besonders gefährdete Flüchtlingsgruppen. Und weil die mehr Platz brauchen, müssen viele Kirchen mitmachen.

Grundlage des schützenden Handelns von Gemeinden wie der Antoniterkirche ist das „Gemeinsame Wort der Kirchen zu den Herausforderungen von Migration und Flucht“. Die christliche Basis findet zwar, daß das Papier zu spät gekommen sei. 1993 habe der „Asylkompromiß“ den Schutz von Flüchtlingen in Deutschland ausgehöhlt. Erst letztes Jahr aber hat eine von Landesbischof Karl-Ludwig Kohlwage geleitete Kommission das „Gemeinsame Wort“ herausgebracht. Dennoch verfügen die kirchlichen Schutzgeber mit dem „Gemeinsamen Wort“ über eine Legitimation gegenüber Gemeinden und Behörden. In dem Papier heißt es: Kirchengemeinden, die sich für die Verwirklichung von Menschen- und Grundrechten einsetzten, leisteten einen Beitrag zum Erhalt des Rechtsfriedens und der Grundwerte unserer Gesellschaft.

„Deutschland will uns nicht mehr haben, obwohl es an unserer Situation mitschuldig ist“, sagt Hassan Calhan. Der 41jährige, der in der Türkei Folter und Gefängnis ertragen mußte, ist in den sieben Wochen zum Sprecher der Flüchtlingsgruppe geworden. Innenminister Kanther nimmt er übel, daß er die in Italien gelandeten kurdischen Bootsflüchtlinge als Kriminelle verunglimpfte. „Wer so redet, leistet rechten Gewalttaten gegen Ausländer Vorschub“, ist Calhan überzeugt.

Ob es in Nordrhein-Westfalen einen vorläufigen Abschiebestopp für Kurden geben wird, hängt unterdessen vom Ergebnis einer Türkeireise ab, die Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) und eine rot-grüne Landtagsdelegation unternehmen wollen. Die Fahrt soll Mitte April stattfinden. Bis dahin hat der Innenminister Gespräche mit der Asylinitiative abgelehnt. Die aber kennt schon die nächste Station ihres Wanderkirchenasyls: In drei Wochen ist Aachen an der Reihe.