■ Kommentar
: Letzte Zuckungen

Das einzig Berechenbare an der Berliner FDP ist die Unberechenbarkeit. Was seit geraumer Zeit gilt, hat der Parteitag am letzten Wochenende unübersehbar gemacht. Der Vorwurf, unberechenbar und darum nicht koalitionsfähig zu sein, hat die Grünen viele Jahre hindurch begleitet. Anders als bei der FDP stand aber hinter dem grünen Streit immerhin eine lebendige Auseinandersetzung um Sachthemen und Zukunftsfragen. Das haben die Wähler begriffen und entsprechend honoriert – auch darin unterscheidet sich die FDP.

Der Berliner Parteivorsitzende Matz mag sich einbilden, er habe in den letzten Jahren den Freidemokraten auch so etwas wie Lebendigkeit eingehaucht, weil die Partei inzwischen für jede Kapriole gut ist. Matz verwechselt Lebendigkeit wohl mit den letzten Zuckungen. Debatten führt die Partei längst nicht mehr, hier geht es nur um die Interessen der Seilschaften und Intrigen gegen den innerparteilichen Feind. Und selbst ein unverhofftes Geschenk wie die studentische Eintritts-Offensive vermag nur noch die Strömungsreflexe zu aktivieren.

Es hat zwar den Charakter eines Denkzettels, wenn Matz selbst bei der Nominierung um einen gänzlich unsicheren Platz für den Bundestag gnadenlos abgewatscht wurde. Das Mißtrauensvotum ist aber nicht nur bösartig, sondern entspricht seinem vollständigen Versagen bei der Aufgabe, die Partei neu zu formieren und zu einigen. Rückhalt hat er dadurch auch bei denen verloren, die ihn noch kürzlich im Amt des Parteichefs bestätigten. Längst aber ist diese Aufgabe unlösbar geworden. Matz sollte deshalb die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Anfang der achtziger Jahre wechselten von der Kohl-Wende enttäuschte FDP-Kader in die SPD; heutzutage können auch die Bündnisgrünen zielstrebige junge Menschen gebrauchen. Gerd Nowakowski