Langsamer Endspurt eines langen Verfahrens

Mit den Plädoyers der Nebenkläger geht in Frankreich der Prozeß gegen Maurice Papon in seine Schlußphase  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Über fünf Monate nach seinem spektakulären Beginn ist gestern in Bordeaux der längste Prozeß der französischen Geschichte ziemlich unspektakulär in den Endspurt gegangen. Die 24 Anwälte der Nebenkläger begannen mit ihren Plädoyers gegen Maurice Papon, einst Generalsekretär der Präfektur der Gironde, dem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vorgeworfen werden. Laut Plan wird das Schwurgericht sein Urteil über den 87jährigen am 25. März verkünden. Wie es ausfällt, ist immer noch völlig offen.

Der Prozeß, der die Verantwortlichkeiten bei der Deportation von 1.560 Juden aus Bordeaux zwischen 1942 und 1944 klären sollte, hatte die französische Öffentlichkeit aufgewühlt wie wenige zuvor. Es ist das erste Gerichtsverfahren wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegen einen hohen französischen Funktionär, der im Nachkriegsfrankreich eine brillante politische Karriere absolviert hat, die ihn bis an die Spitze eines Ministeriums in Paris brachte. In einem Klima politischen Streits über das Verfahren dauerten die Vorermittlungen gegen Papon 16 lange Jahre. Sowohl linke als auch rechte Politiker blockierten in dieser Zeit die Anklageerhebung, von der sie mehr Schaden als Nutzen befürchteten.

Der lange Prozeß hat nicht nur zur Klärung des Falles beigetragen. Schon die Anfänge waren verworren. Im Gegensatz zu den französischen Usancen bei Schwurgerichtsverfahren wurde Papon angesichts seines hohen Alters und seines angeblich angeschlagenen Gesundheitszustandes auf freien Fuß gesetzt. Später brachte unter anderem eine Papon-Debatte im französischen Parlament, an der sich auch Premierminister Lionel Jospin beteiligte, eine ungewöhnliche Note in den Gerichtssaal.

Unterdessen erzählten Überlebende, Angehörige und Nachfahren von Holocaust-Opfern, einstige Kollegen des Angeklagten, Historiker, Politiker und einstige Résistants ihre Version der Ereignisse. Die wenigen echten Tatzeugen hatten mehrheitlich das hohe Alter des Angeklagten selbst.

Papon zeigte sich ab jenem Tag, an dem das Gericht seine Freilassung aus der Haft entschied, geistig und körperlich ausgesprochen präsent. Täglich installierte er in der Angeklagtenbox ein kleines Büro. Seine Zwischenfragen und seine Antworten zeugten von der hohen Schule des französischen Funktionärs — sprachliche und politische Gewandtheit, Arroganz und Folgsamkeitsgeist inklusive.

Papon selbst hält sich für unschuldig, da er den Ausgang der von ihm organisierten Deportationen aus Bordeaux nicht gekannt haben will. Auf die häufig wiederkehrenden Fragen, warum er trotz der Radioberichte der Résistance, trotz Flugblättern und Gerüchten überall in Frankreich nicht über Auschwitz informiert gewesen sei, konnte Papon keine Antwort geben. Er vermochte auch nicht zu erklären, warum er sich bei den hohen Funktionären des Vichy-Regimes nie nach der Zukunft der Deportierten erkundigte — obwohl er darauf beharrte, großes Mitgefühl mit den Juden gehabt und einigen das Leben gerettet zu haben.

Papons Verteidigung stützt sich auf seine angebliche Tätigkeit für die Résistance, von der ein erst Ende der 50er Jahre ausgestelltes „Résistance-Attest“ zeugen sollte. Mehrere ehemalige Résistants, die sich mit Gehstock in den Zeugenstand bemühten, bestätigten eine gewisse Unterstützung durch Papon. Der höchstrangige Résistant im Gerichtssaal, der 93jährige Jean Pierre-Bloch, hingegen, der in den 40er Jahren eng mit General de Gaulle zusammenarbeitete, erklärte in der vergangenen Woche kategorisch: „Papon war kein Résistant. Allenfalls ein sehr, sehr heimlicher.“