Bonn liefert Kosovo-Flüchtlinge aus

■ Deutschland schiebt trotz Kritik des UN-Flüchtlingshilfswerks weiter Asylsuchende in Bürgerkriegsregion ab. Wegen Unterdrückung der Kosovo-Albaner beschließt Bosnien-Kontaktgruppe Waffenembargo gegen Jugoslawien

Berlin (rtr/taz) – Die Bosnien-Kontaktgruppe hat sich bei ihren Beratungen in London gestern auf einen Aktionsplan verständigt, um Jugoslawien zur Einstellung der gewaltsamen Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo zu bewegen. Die Vertreter der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Bundesrepublik sprachen sich für ein Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats aus. Rußlands stimmte den Zwangsmaßnahmen erst nach anfänglichen Widerständen zu. Unter anderem soll die staatliche Förderung von Exportkrediten für Geschäfte mit Jugoslawien eingefroren werden. Die Lieferung von Anlagen und Geräten, die zur Unterdrückung der Proteste im Kosovo benutzt werden könnten, soll gestoppt werden. Der Führung in Belgrad wird zehn Tage Zeit gegeben, um die „unakzeptable Anwendung von Gewalt“ einzustellen.

Trotz der zugespitzten Situation wird Deutschland weiterhin Flüchtlinge in den Kosovo abschieben. Gestern nachmittag wurden vom Flughafen Frankfurt am Main aus elf Flüchtlinge zwangsweise nach Belgrad zurücktransportiert. Am Morgen hatte die Polizei in Augsburg auch eine Mutter mit drei Kindern zur Abschiebung abgeholt. In Bayern, so der dortige Flüchtlingsrat, werden derzeit abgelehnte Asylbewerber aus dem Kosovo sogar vor Ablauf ihrer Ausreisefrist vorgeladen, um sie bei ihrem Eintreffen in der Ausländerbehörde gleich in Haft nehmen zu können.

In ungewöhnlich deutlicher Form hat das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf gestern die europäischen Länder aufgefordert, Abschiebungen von Kosovo-Albanern „aus humanitären Gründen auszusetzen“. Bisher hatte das UNHCR nur für „größtmögliche Zurückhaltung“ plädiert. Hauptadressat der dringlichen Bitte ist die Bundesrepublik, wo rund 130.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo leben und nach der Ablehnung ihres Asylgesuchs von Abschiebung bedroht sind.

Die Bundesregierung zeigte sich von den Appellen unbeeindruckt. Ein Abschiebestopp, erklärte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, stehe „nicht zur Debatte“. Auch Franz-Josef Kniola, Innenminister des rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen, hält einen generellen Abschiebestopp im Moment für „nicht angezeigt“. NRW wird auch in dieser Woche „Rückführungen“ nicht nur nach Belgrad, sondern auch direkt in den Kosovo nach Priština vornehmen – angeblich auf Wunsch der Flüchtlinge selbst.

Dort protestierten gestern unter den Augen schwerbewaffneter Polizeikräfte 80.000 Menschen friedlich gegen die gewaltsamen Polizeieinsätze in ihrer Heimat. Bei diesen Polizeiaktionen sind offenbar doppelt so viele Menschen getötet worden, wie von den Behörden bisher eingestanden. Die Polizei gab gestern 67, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen zur Identifizierung frei. Ve.

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