Frontalflug auf das Objekt der Begierde

■ Die Bühne B12 präsentiert die grandiose brasilianische Compagnie Carlota Portella

Der Gedanke des Tangos selbst ist es, den sie tanzen. Ohne jede formalisierte Schrittfolge und ohne die stilisierte Künstlichkeit, die den erotischen Kampf zwischen Nähe und Distanz als Gesellschaftstanz salonfähig machen. Eben noch miteinander ringend, sich brutal wegstoßend, fliegen die Körper einander zu, verzweifelte Umklammerung für Sekunden, die sich im ewig gleichen Schema auflöst: Annäherung und Rückzug, verführerische Werbung und erbittertes Niederringen der Freiheit des anderen.

In grandioser Ausdrucksstärke leuchtet die brasilianische Tanzcompagnie Cia. Vacilou Dancou/Carlota Portella die Spielräume von Beziehungen aus. Tango ist hier nur ein winziger Ausschnitt einer Vielfalt von Variationen. Entre (Zwischen) heißt die erste Choreographie der Trilogie TRIX, deren Europapremiere die Bühne B 12 vorstellt. So unwägbar und vielsagend wie der Titel sind die Szenen, in denen die Körper zu Musik von Astor Piazolla und Michael Nyman aussprechen, was Worte nur schwer vermögen. Unkonventionelle Bewegungen zwischen grotesker Skurrilität und raumgreifenden leidenschaftlichen Gesten kennzeichnen das Repertoire des neunköpfigen Ensembles, in dem der Einfluß klassischen und modernen Tanzes stets sichtbar bleibt.

Voll ausgelassener Komik präsentiert sich dagegen die Choreographie 5 Movimentos, die zu avanciertem Pop von Brian Eno, Yello und Zap Mama fünf kleine, unvollendete Geschichten in Bewegungen faßt. Sie zeigt, wie entzückend es sein kann, Frauen auf Männer springen zu sehen. Wenn das Opfer schon am Boden liegt, hat die Tänzerin es leicht: Alle viere von sich gestreckt , scheint sie einen atemberaubenden Moment lang in der Luft zu stehen, bevor sie sich frontal auf das Objekt der Begierde stürzt. Abwehrversuche sind zwecklos: Immer wieder schießt der Frauenkörper in die Höhe, um in den unmöglichsten Umklammerungen an dem Mann zu landen - mit einer Artistik, die die Gesetze der Schwerkraft ignoriert und die unwillkürlich zum Lachen reizt.

Weniger eindeutig, verschließt sich Pulsares rationalistischen Interpretationen. An einen rasenden Pulsschlag erinnert die Musik von Kodô, den Heartbreak Drummers of Japan, zu der sich ein Tanz von hypnotischer Stärke entfaltet. Spannungen zwischen Individuum und Kollektiv bauen sich auf, Rituale und das wiederkehrende Motiv der Fixierung auf einen Punkt rühren an Gefühle aus dem Unterbewußtsein.

Mit TRIX eröffnete die Bühne B 12 vergangene Woche ihre Tanztheaterreihe B 12 entgleist, die bis zum Ende des Monats auch die Solochoreographie Querbeet des Essener Folkwang-Absolventen Heiko Büter und zwei Wiederaufnahmen des Tanztheaters Tanzhof vorstellen wird. Cia. Vacilou Dancou zeigt von morgen bis Sonntag noch einmal TRIX in leichter Variation.

Sabine Claus

20 Uhr, Bühne B 12, Bullerdeich 12, Hammerbrook