Prêt-à-porter
: De-Dekonstruktion

■ Keine Ausreißer. Der Avantgarde-Schneider Margiela zeigt seine erste Kollektion bei Hermès

„Das ist eine perfekte Hochzeit“, diktierte Jean-Paul Gaultier, einen eleganten Kamelhaarmantel über dem Arm tragend, einer Journalistin in den Block. Issey Myiake stand daneben und lächelte.

Die Pariser Prêt-à-porter- Schauen hatten gleich am ersten Tag ihr Ereignis: Martin Margielas erste Kollektion für Hermès. Als am Ende der Schau der Applaus losbrach, huschte Jean-Luis Dumas, Präsident des ehrwürdigen Hauses, die Treppe herunter und lachte. Einen kurzen Moment lang sah er aus wie ein Sechsjähriger. Dabei ist er ein sehr distinguierter, zierlicher Franzose mit königlicher Nase. Er hatte Mut und Intelligenz bewiesen, als er den belgischen Avantgarde-Schneider für Hermès verpflichtete. So was zahlt sich nur selten aus, aber dieses eine Mal hat es geklappt. Bernard Arnault, Präsident des Luxuskonzerns LVMH, gegen den Hermès ein Zwerg ist, dürfte Montag nacht vor lauter Neid und Wut in sein Kopfkissen gebissen haben. „Do me a Gucci“, knurrte Arnault vor zwei Jahren. Und dann kaufte er ein: Galliano für Dior, McQueen für Givenchy und jetzt ganz neu Marc Jacobs für Louis Vuitton, Narciso Rodriguez für Loewe, Michael Kors für Céline. Die ersten zwei, Engländer, stehen für alles, was in der Mode hip ist. Die anderen drei, Amerikaner, stehen für den Pragmatismus, der Designer wie Calvin Klein und Donna Karan groß machte. Während Arnault geradezu gewaltsam versucht, Tom Fords Erfolg bei Gucci zu wiederholen, hatte Dumas eine weitaus originellere Idee: einen doppelten Armani. Und Margiela stand ihn wie eine eins.

Eine perfekte Ehe – das ist sehr schön für die frisch Vermählten, aber ist es nicht ein bißchen langweilig für die Zuschauer? Ja. Nein! Sehr schwierig. Um es vorab zu sagen: Es gab nicht einen Ausreißer in dieser Kollektion, keine nach außen gewendeten Nähte, keine eingearbeiteten alten Socken. Nichts, worauf sich die Medien stürzen könnten. Statt dessen teure Stoffe, klare Silhouetten, perfektes Handwerk. Also alles, wofür Armani steht. Und dann doch wieder anders. Bei aller Modernität, die Armanis auf den ersten Blick so schlichten Kleider ausstrahlen, haftet ihnen doch immer etwas Nostalgisches an, der goldene Schimmer eines Lebens in Muße und englischen Gärten.

Martin Margielas Hermès-Kollektion hatte nichts mit Nostalgie zu tun, sondern mit Tradition. Den Anfang machten Anzüge und Mäntel. Die Hosen waren weit und geschnitten wie Männerhosen. Dazu ein doppelreihiges Jackett, lose geschnitten, fast ein bißchen zu groß. Es erinnerte an die Herrenanzüge der 20er Jahre. Dazu ein langer Mantel aus Kamelhaar. Alle Nähte waren doppelt abgesteppt. Mäntel und Jacken hatten an der Unterseite des Kragens einen sehr schönen goldenen Satinbesatz wie bei einem Smoking.

Auch die Kanten der Ärmel und Taschen waren mit einem schmalen Satinband gesäumt. Die Mäntel hatten kragenlose Untermäntel aus Kaschmir, die man auch ohne den Übermantel tragen konnte. Die Farben waren Grau, Schwarz, Beige und Braun in allen Schattierungen.

Am auffälligsten waren die hüftlangen Jacken, die wie kragenlose Matrosenblusen geschnitten waren. Mit einem V- Ausschnitt fast bis zum Bauchnabel, doch der Rest der Vorderfront ist geschlossen, so daß man sie über den Kopf ziehen muß. An den Seiten, Taschen mit Aufschlägen, wie sie für eine Anzugjacke typisch sind. Das Ganze knüpfte an die Schlichtheit einer Coco Chanel an, die 1915, als viele Damen noch Korsetts trugen, gerade Hemdblusenkleider aus Jerseystoff fertigte.

Margiela, Dekonstruktivist in seinen eigenen Kollektionen, zeigt bei Hermès, daß wir mit den Konstruktionen der 20er noch nicht abgeschlossen haben. Anja Seeliger