Albaniens schwankende Politik im Kosovo

■ Auf Antrag der Regierung in Tirana tritt die Nato heute zu einer Sondersitzung zusammen

Berlin (taz) – Heute wird sich der Natorat in Brüssel auf einer Sondersitzung mit der Krise im Kosovo befassen. Das Gremium tritt auf Antrag der sozialistischen Regierung Albaniens zusammen. Damit macht erstmals ein Land, das Mitglied des Programms „Partnerschaft für den Frieden“ ist, von diesem Recht Gebrauch. Derweil nutzt Sali Berisha, Ex-Präsident und Chef der oppositionellen Demokratischen Partei (DP), den Kosovo-Konflikt auf seine Art.

Ende vergangener Woche kehrten die Demokraten nach fast sechsmonatigem Boykott ins Parlament zurück. „Wir sind hier, um dem Kosovo zu zeigen, daß wir Differenzen zwischen Parteien im Interesse größerer nationaler Belange überwinden können, zu einem Zeitpunkt, da die Nation in Gefahr ist“, verkündete Berisha zur Begründung. Tags zuvor hatte sich das noch etwas anders angehört. Da hatten 28 Oppositionsparteien unter Federführung des Ex- Staatschefs alle Albaner zum Kampf gegen die serbischen Aggressoren aufgerufen.

Daß Berisha mit der Kosovo- Karte pokert, ist nicht neu. Bereits im Januar 1992, zwei Monate vor den albanischen Parlamentswahlen und etwa zeitgleich mit der ersten großen Solidaritätskundgebung für die Kosovo-Albaner in Tirana, machte die DP die Spannungen in der serbischen Provinz zu ihrer Sache. Einmal an der Macht, werde man die „Balkan- Mauer“ zwischen Albanien und dem Kosovo niederreißen, versprach die Partei.

Auch nach seinem Wahlsieg im März 1992 gerierte sich Berisha zunächst als Verteidiger der Idee einer Vereinigung Albaniens mit dem Kosovo. Was Ibrahim Rugova, seit Mai 1991 gewählter Präsident der nur von Albanien anerkannten „Republik Kosovo“, in einem Interview mit der Stimme Amerikas zu der Feststellung veranlaßte: „Dieser Sieg ist für den Kosovo sehr bedeutsam, weil Albanien jetzt mit einer neuen Autorität die internationale Bühne betreten wird. Albanien wird wirtschaftlich stärker und besser in der Lage sein, dem generellen albanischen Anliegen zu helfen.“

Die Erwartungen der Kosovo- Albaner wurden jedoch bald gedämpft. Berishas Kosovo-Politik oszillierte zwischen innenpolitischen Notwendigkeiten – Anfang 1993 waren in Albanien rund 75.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo registriert –, geschürten Erwartungen in Priština und dem Druck der internationalen Gemeinschaft, ausgelöst durch den Krieg in Bosnien-Herzegowina.

In einem offenen Brief, der in den Zeitungen Zerit i Popullit und Bujku im Frühjahr 1993 veröffentlicht wurde, verurteilte Berisha jeglichen Terrorismus und führte aus: „Albanien wird niemals erlauben, daß Grenzen mit Gewalt verändert werden.“ Im Juni legte Berisha einen Sechs-Punkte-Plan vor, in dem Sanktionen gegen Serbien, ein UN-Protektorat für den Kosovo und der Einsatz von Nato- Truppen gefordert werden. Wieviel dieser Plan wert war, zeigte sich schnell. Nicht zuletzt, um von den wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten zu Hause abzulenken, stärkte Berisha nunmehr den Hardlinern im Kosovo und in Makedonien den Rücken.

Mit dem Voranschreiten des Krieges in Bosnien wuchs der Druck des Westens auf Tirana, die Unverletzlichkeit der Grenzen zu Serbien und Montenegro anzuerkennen. Die Position, auf die sich Berisha zurückzog, war unverfänglich. Im Frühjahr 1994 rief er zu Gesprächen zwischen den Führungen von Serbien und dem Kosovo auf. „Ein Dialog mit Belgrad ist unvermeidlich. Belgrad und Priština müssen in Anwesenheit einer dritten Partei verhandeln, um die Situation im Kosovo zu normalisieren.“ Damit war die Linie, die sich auch bis zu Berishas Abgang im Juli 1997 nicht mehr ändern sollte, vorgegeben.

Wenn die Sozialisten jetzt an die internationale Gemeinschaft appellieren, ist das nur folgerichtig. Erst vor wenigen Wochen war die nordalbanische Stadt Shkoder erneut Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen albanischen Banden und Polizeikräften, was Berisha weidlich für Angriffe auf die Regierung von Fatos Nano ausnutzte. Die Sozialisten befürchten, daß Kosovo-Flüchtlinge, die wie Berisha mehrheitlich der Volksgruppe der Geken angehören, die Lage in Albanien weiter destabilisieren würden. Bei einer Pro-Kosovo-Kundgebung vergangene Woche in Tirana verurteilte Staatspräsident Rexhep Medani die serbische Gewalt und forderte eine friedliche Lösung. Auch die Opposition war anwesend – eine Demonstration seltener Eintracht. Barbara Oertel