Tränen statt Triumphen am Trapez

Wenn der Tränenpalast geschlossen werden sollte, ginge eine einzigartige Mischung aus internationalen Show-Veranstaltungen und Kleinkunst kaputt. Jetzt schon Einbußen wegen des Umbaus am Bahnhof Friedrichstraße  ■ Von Kerstin Marx

„Manchmal habe ich versucht, mich an die ernsten Gesichter der Grenzbeamten, die beklemmende Atmosphäre und wie das hier alles vor der Wende aussah, zu erinnern“, erzählt Susanne. In acht Meter Höhe turnt sie am Trapez unter der Hallendecke des Tränenpalasts. Dann läßt sie den Blick über zusammengeklappte Chromstühle, Scheinwerferungetüme aus DDR-Zeiten und die zur Bar umfunktionierte Wechselstube gleiten. „Das hier“, sagt Susanne, „hat Atmosphäre.“

Die Luftakrobatin aus dem Westteil der Stadt hat die ehemalige Grenzabfertigungshalle öfter passiert, um Verwandte im Osten zu besuchen. Jetzt übt sie seit einem Jahr für Varietés und Galas unter der Hallendecke. Sollte Tränenpalast-Betreiber Marcus Herold den Spielbetrieb in dem denkmalgeschützten Palast wegen der Kündigung seines Vertrages und der geplanten Verdreifachung der Miete durch die Deutsche Bahn AG beenden müssen, fände auch Susanne das „absolut schade“. „Die haben hier ein paar klasse Veranstaltungen“, sagt sie und verweist auf einen Favoriten: das Kiewer Clown-Theater Mimikrichy.

Wer die Mimikrichys in den vergangenen Tagen sehen wollte, mußte Bauzaun und gelbblaue Container auf dem Weg zum Eingang der Veranstaltungsstätte passieren. Immer wieder komme es vor, daß BesucherInnen wegen der Unübersichtlichkeit des Geländes am Bahnhof Friedrichstraße zu spät in die Veranstaltungen platzten, erzählt Herold.

Doch das allein ist es nicht, was ihn ärgert. „Wir sind der einzige Laden, der an der Friedrichstraße mit einem Kulturprogramm ohne Subventionen aufgemacht hat“, empört sich der Betreiber. „Trotzdem bekommen wir von offizieller Seite wenig Anerkennung – geschweige denn Unterstützung.“ Rockstar Prince, Leinwandheld Bruce Willies und „viele Leute, die für die Stadt wichtig sind“ standen im Tränenpalast auf der Bühne, wie Herold nicht ganz ohne Stolz erzählt. Gleichzeitig habe er von Anfang an versucht, auch der Kleinkunst einen Rahmen zu geben: Ehemalige DDR-Stars und UntergrundkünstlerInnen, aber auch westdeutsche KünstlerInnen sind Teil eines gemischten Programms.

Ganz und gar nicht versteht es der Geschäftsführer deswegen, daß ihm die Senatskulturverwaltung in den vergangenen Jahren „in keiner Weise“ unter die Arme gegriffen habe: Subventionen wie für Tempodron und Kulturbrauerei gibt es nicht, und auch sonst würden seine Anliegen „nur abgeblockt“. Die Tränenpalast-Gesellschaft muß die noch von der Mitropa gemieteten Büroräume am Schiffbauerdamm wegen Rückübertragung des Hauses zum 15. dieses Monats räumen. Wegen der teuren Mieten in der Umgebung sei man in arger Bedrängnis und habe sich mit einem Brief an Kultursenator Peter Radunski (CDU) gewandt, um eine kurz- oder mittelfristige Zwischenlösung zu finden, erzählt Herold. Bislang hat er keine Antwort erhalten.

Durch die Bauarbeiten auf dem Gelände hat Herold in den vergangenen Jahren vor allem Absagen von geschlossenen Gesellschaften und Großveranstaltern erhalten. Mindestens 40 Prozent Einnahmen habe er wegen des Schmutzes und des wenig repräsentativen Umfelds eingebüßt, erzählt Herold, der in diesem Jahr auch keine Großveranstaltungen der Berlinale im Tränenpalast organisieren konnte. Für die Vertragsverhandlungen hofft er, daß die Bahn „die Miete dem Gewinn beziehungsweise Umsatz angleicht“.

Bedingung dafür sei allerdings, daß die Bahn der Bausubstanz des Tränenpalasts zu Leibe rücke: Einfachverglasung und fehlende Windfänge unter den Türen verursachen momentan hohe Heizkosten, es gibt keine Backstage- Räume und auch keine Büros. „Die Halle ist eben nicht als Theaterbetrieb gebaut worden“, zuckt Herold mit den Schultern. „Doch gerade deswegen ist es eine Unverschämtheit, ausgerechnet jetzt den dreifachen Mietpreis zu verlangen“.