Demütigungsautomaten Von Carola Rönneburg

Doktor Peczinek steht am geöffneten Fenster. Zwischen seinen hoch über dem Kopf erhobenen Händen hält er einen Laptop, und nun holt er wie ein Fußballer beim Einwurf weit aus, um das Gerät aus einer Distanz von drei Altbaustockwerken auf die Straße zu schleudern. Mein Einwand, der transportable Computer gehöre nicht einmal mir, sondern sei nur geliehen, läßt ihn nur kurz innehalten: „Ich kaufe dir einen neuen! Aber laß mich diesen hier zerstören!“

Wie es zu dieser Szene kommen konnte, ist leicht zu erklären. Das Gerät hatte nicht nur zweimal hintereinander Herrn Peczineks wissenschaftlichen Aufsatz und mehrere Wochen Arbeit gelöscht: Es hatte ihn gedemütigt.

Jawohl, gedemütigt. Wir alle werden tagaus, tagein von Geräten gedemütigt. Wenn wir vor dem Kopierer in zusammengefalteter Stellung herumkriechen, um das, was der Apparat enervierend blinkend als „Papierstau“ bezeichnet, zu beheben, wenn wir unsere Finger erst einklemmen und dann schwärzen, ohne den geringsten Erfolg bei der Behebung des sogenannten Papierstaus verzeichnen zu können, dann werden wir gedemütigt. Von diesem Gerät. Mit Absicht.

Ob Geräte prozessorgesteuert sind, spielt dabei keine Rolle. Einen Baustein, elektronisch oder nicht, besitzen alle Geräte: den Demütiger. Und auch jedem mechanisch bzw. manuell betriebenen Gerät wohnt eine angeborene und vererbbare Demütigung inne.

Wenn wir eine klassische Schreibmaschine benutzen, verhaken sich die Typen sofort unentwirrbar miteinander. Anstatt sie püriert auszugeben, treibt der Fleischwolf alle Geflügellebern wieder hoch. Wenn wir uns das Shampoo aus den Haaren spülen wollen, gibt es nur noch kaltes Wasser. Und während wir nachts und am Ende der Welt schon mal beginnen, stumm nach einem Taxi zu beten, zerkaut der Geldautomat genüßlich unsere EC-Karte. Es ist einfach so: Die Geräte wollen das. Sie wollen uns niederhalten, uns unsere Unzulänglichkeiten spüren lassen. „Ihr seid nichts“, flüstern die Geräte. Dann kichern sie.

Und nun besuchen Sie bitte mit mir die Toilette meiner Firma. Sie ahnen, was jetzt passieren wird? Tun Sie nicht: Jeder halbwegs gelenke Mensch kann sich zwar, nachdem die Spülung gezogen wurde, durch einen raschen Sprung rückwärts vor heranrauschenden Wassermassen aus der heimischen Toilettenschüssel in Sicherheit bringen, damit die Schuhe trocken bleiben. Die Betriebstoilette wendet dagegen perfidere Methoden an. Ihr deckelloser Wasserkasten, in Baskettballspielerkopfhöhe angebracht, reagiert absolut unvorhersehbar.

Sie ziehen an der Kette. Es gurgelt, und plopp! regnen einige dicke Tropfen auf Sie herab. Wo Sie stehen bzw. wohin Sie gesprungen sind, ist egal. Der Wasserkasten ist ein Meisterschütze und trifft immer. Sie verlassen die Toilette. Ihre Frisur ist ruiniert, die Wimperntusche verschmiert, die Hose voller Flecken. Es ist würdelos.

Aber sehen Sie jetzt einmal in dieses Zimmer. Ja, das ist Dr. Peczinek, und das ist auch mein Laptop. Und nun stimmen Sie mit ein, auf drei: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht!“

Morgen nehmen wir uns den Wasserkasten vor: Die Würde des Menschen ist unbekleckerbar.