Die „Maconha-Guerillheiros“ von Pernambuco

■ Brasiliens wichtigste Marihuana-Anbauregion im Norden des Landes ist fest im Griff des organisierten Verbrechens. Wer aussteigen will, riskiert, gefoltert und umgebracht zu werden

Recife, die Dreieinhalb-Millionen-Küstenstadt, assoziieren Drittweltbewegte meist mit Sextourismus, Massenelend in Pfahlbauten-Slums und Straßenkindern. Seit die Gangstersyndikate von Rio und São Paulo ihre Fühler auch in den über zweitausend Kilometer entfernten Nordost-Teilstaat Pernambuco ausstreckten, konsumieren letztere zunehmend Crack und Kokain.

Nach einer neuen Studie greifen jedoch immer noch drei Viertel der Straßenkinder in Recife zu Maconha, wie man Marihuana in Brasilien nennt. Das kommt nicht aus den südlichen Ballungszentren, sondern wird sozusagen gleich um die Ecke, ein paar hundert Kilometer entfernt im Hinterland, produziert. Streng unter Aufsicht der beiden führenden Verbrecherorganisationen „Comando Vermelho“ (Rotes Kommando) und „Terceiro Comando“ (Drittes Kommando), die aus den Rio- Slums auch ihre rüden Methoden mitbrachten. In einem Gebiet, das zweimal so groß wie Holland ist, arbeiten derzeit in einem der Sklaverei ähnlichen Regime rund 25.000 Menschen auf den Cannabis-Feldern. Sie sind an das „Lei do Silencio“ (Gesetz des Schweigens) gebunden: Wer zu fliehen versucht, riskiert, gefoltert und erschossen zu werden.

In zuvor friedlichen Kleinstädten wie Cabrobó, Floresta oder Salguero herrschen auf einmal Zustände wie am Zuckerhut: Entführungen zwecks Lösegelderpressung und Busüberfälle sind alltäglich, die „Maconha-Guerillheiros“ genannten Banditenmilizen feuern bevorzugt mit Nato-Waffen. Der Banditenterror beraubt die Ärmsten ihrer grundlegenden Menschenrechte. Kurioserweise wurde der Cannabis-Boom nebst seinen bedenklichen Folgen durch das Real-Wirtschaftsprogramm des Staatschefs und FU-Berlin-Ehrendoktors Fernando Henrique Cardoso ausgelöst.

Wegen der enormen Kreditzinsen und niedrigen Aufkaufpreise lohnte sich seit 1994 der Tomaten- oder Zwiebelanbau nicht mehr. Landarbeiter verloren ihren Job, und die Misere nahm sichtlich zu – Maconha schien der Ausweg. Für einen Fünf-Kilo-Sack Zwiebeln werden umgerechnet eine Mark achtzig gezahlt, für ein einziges Kilo Cannabis-Hanf dagegen um die hundert Mark. Joao Nenem, Präsident der Landarbeitergewerkschaft von Cabrobó, sagt: „Wir sind gegen Maconha, bestreiten aber nicht, daß der Anbau half, die sozialen Probleme der Region zu lösen.“ Bis zu vier Hanfernten jährlich sind möglich, die Produktion lag 1997 laut Bundespolizei bei über einer Million Tonnen.

Theoretisch müßten die lokalen Sheriffs energisch gegen Cannabisanbau und -umschlag vorgehen, sie tun es aber nicht: Ein Teil ist korrupt und liiert mit dem organisierten Verbrechen sowie envolvierten Großgrundbesitzern und Politikern; der andere Teil ist nicht nur inkompetent und zögerlich, sondern auch unwillig, mit uralten Waffen bei einem Monatslohn von umgerechnet unter 500 Mark gegen die hochgerüsteten Banditenmilizen vorzugehen. Also bleibt es in der Regel bei einer großangelegten, von Hubschraubern unterstützten Aktion der Bundespolizei pro Jahr, was natürlich rechtzeitig vorher bekannt wird.

Festnahmen – so gut wie keine, nur hier und da werden Cannabisfelder abgefackelt. Ist die „Policia Federal“ wieder weg, herrschen in Cabrobó oder Floresta wieder Wildwest-Zustände und gilt ab sieben Uhr abends die informelle Ausgangssperre: Aus Angst vor Gewalt geht – ähnlich wie in ungezählten Rio-Slums – niemand vor die Tür. Andererseits trifft man auf keine Bettler mehr, und es werden in der traditionell bitterarmen Region neuerdings sogar deutsche Importautos verkauft. Schon zwei Säcke vollgepfropft mit Cannabisblättern lassen sich gegen einen Gebrauchtwagen tauschen.

In Rio ist es längst ein Gemeinplatz, daß Leonel Brizola, Linkspopulist, Chef der Demokratischen Arbeitspartei (PDT) und Vizepräsident der Sozialistischen Internationale, während seiner zwei Gouverneurs-Amtsperioden dem organisierten Verbrechen kräftig Auftrieb gab. In Pernambuco müßte derzeit Gouverneur Miguel Arraes, starker Mann der sozialistischen Partei (PSB), den Drogenmilizen das Handwerk legen. Arraes, Großgrundbesitzer wie Brizola oder Staatschef Cardoso, regiert indessen in Allianz mit den Oligarchien Pernambucos und ist deshalb nicht zufällig der unpopulärste Gouverneuer der achtgrößten Wirtschaftsnation.

Auch Bischof Francisco Austregesiló Filho, 74, aus der Cannabis- Region mag ihn nicht, weil Arrares Appelle, die Menschenrechte der Landbewohner wiederherzustellen, unbeantwortet läßt. Der Bischof, der selber Opfer eines Busüberfalls war, wird wegen seiner feurigen Predigten wider das organisierte Verbrechen mit Mord bedroht. Seinem Aufruf, vor Gericht gegen die jedermann persönlich bekannten Gangster auszusagen, will niemand folgen. „Immer mehr Leute sind materiell von den Gangstern abhängig, deren Macht stetig wächst“, sagt Pernbambucos Justizpräsidentin Maristela de Oliveira Simonin, „in ein paar Jahren hat die Region so starke Kartelle wie die von Kolumbien.“ Patricia Sholl, Rio de Janeiro