Mit Maus, Monitor und Malprogramm

Computertraining für Vorschulkinder: Das Unternehmen „Profikids“ verspricht „Lernabenteuer“ und „kindgerechte Computerkompetenz“. Versuche auf einem neuen Markt  ■ Aus Wiesbaden Sabine Kohlstadt

Pferde grasen auf der Wiese, Hühner picken rastlos gelbe Körnchen: Spätsommer auf dem Bauernhof. Die fünfjährige Vicky starrt auf die trickfilmartig gezeichnete Szene. „Klick mal drauf, mal sehen, was passiert“, mehr braucht die Studentin Maria nicht zu sagen. Vicky weiß, daß sich hinter den Figuren auf dem Monitor kleine Geschichten verbergen, die sie per Mausklick abrufen kann. Am meisten interessiert sie der Bauer. Konzentriert verschiebt Vicky die Maus, bis der Pfeil den Landmann auf dem Trecker erreicht hat. Dann drückt sie mit zwei Fingern fest auf die Taste: Geschafft. Aus dem Lautsprecher rumpelt und tuckert es, der Traktor setzt sich in Bewegung.

„Was macht der Bauer denn da?“ fragt eine kindliche Stimme aus dem Computer. Sie gehört zu Rexi, einem kleinen Dinosaurier, der nun links im Bild erscheint. Die Antwort gibt der große Saurier Bronto, der von rechts auf dem Monitor auftaucht. Mit väterlich tiefer Stimme erklärt er: „Im Sommer mäht der Bauer, um das Getreide zu ernten.“

Vicky und ihr Zwillingsbruder Max scheinen wenig beeindruckt. Sie sind die jüngsten von etwa hundert Kunden der „Profikids Computerschule für Kinder“ in Wiesbaden. Das Ambiente der Altbauwohnung schwankt zwischen Büro und Wartezimmer beim Kinderarzt. Die Strichmännchen, die von den Wänden lachen, sind das Markenzeichen des Unternehmens. In den Ecken der beiden Schulungsräume stehen Schreibtische mit quietschbunten Bürostühlen und jeweils einem Computer. Kuscheltiere lehnen an den dazugehörigen Monitoren. Vor einem der Bildschirme sitzen die Zwillinge mit ihrer Betreuerin. Jeweils zwei bis drei Kinder hat Maria in ihrer Obhut, bei mehr als vier Kindern wird sie von einem weiteren Mitarbeiter unterstützt. Der Unterricht in kleinen Gruppen soll soziale Fähigkeiten einüben und der Vereinzelung vor dem Computer entgegenwirken.

Max muß die Maus noch in beide Hände nehmen, um ein Schaf anzusteuern. Gleich nach dem Klick erscheint eine Weide. „Kleine Schafe heißen Lämmer“, belehrt ihn die Maschine, diesmal ohne Dinosaurier. „Wissen wir doch schon!“ sagt der Knirps und sieht seine Schwester triumphierend an. Zum Thema Schafe holt ihm Maria ein virtuelles Fotoalbum auf den Bildschirm. Max wählt das Bild eines Mannes aus, der ein Schaf zwischen den Knien hält. Ein Tastendruck, und der Mann auf dem Foto beginnt das Tier zu scheren.

Per Videoanimation versucht die Vorschul-Software ihre Infos unter den Jüngsten zu verbreiten. Langsam, Stück um Stück, sinkt das Schaffell zu Boden. Vicky gähnt, Max rutscht auf seinem Stuhl hin und her: „Hört der denn nie auf zu mähen?“ Maria kann darüber nicht lachen, zu angestrengt versucht sie, den Film zu stoppen. Hier ein Klick, da ein Klick. Erfolglos. Unterbrechungen sieht das Programm nicht vor. „Warum soll ich das ansehen?“ quengelt Max. Die 27jährige schweigt. Schließlich wird im Prospekt der Computerschule mit „lustigen Lernabenteuern“ geworben.

Lernprogramme wie dieses sollen Vorschulkindern „kindgerechte Computerkompetenz“ vermitteln. So verspricht es jedenfalls der „Profikids“-Werbeprospekt. Als „Schlüsselqualifikation“ der Informationsgesellschaft erschließe die Computerbeherrschung den Zugang zu Bildung, Kultur und Arbeitsplätzen: „Eröffnen Sie ihrem Kind Perspektiven!“

Viele Eltern erkennen die Zeichen der Zeit und kaufen ihren Sprößlingen einen Computer, lobt Stefan Raulf, Leiter der Wiesbadener Profikids-Filiale. Mit der Betreuung allerdings sehe es häufig finster aus: „Spätestens nach der zweiten Seite fliegt das Handbuch in die Ecke“, hätten ihm Väter und Mütter gestanden. Die Folge: Die Kinder bleiben vor dem Gerät sich selbst überlassen. Dabei biete gerade das Vorschulalter „optimale Lernvoraussetzungen“.

Bedenken, daß die angestrebte „angenehme Primärerfahrung“ auch negative Auswirkungen haben könnte, versucht der vierfache Vater schnell zu zerstreuen. Ein interaktives Computerprogramm, sagt Stefan Raulf, sei wohl eindeutig besser als passives Fernsehen.

Außerdem lasse sich die Zukunft sowieso nicht aufhalten: Ohne moderne Datenkommunikation könne heute kein Kind mehr lernen und arbeiten. Computerkompetenz sei inzwischen die „drittwichtigste Fähigkeit nach Lesen und Schreiben“, das Leben mit der Datenautobahn sei so unausweichlich wie das mit dem Straßenverkehr.

Gerade beim Umgang mit dem Computer, sagt Raulf, sei eine positive frühkindliche Prägung „durch laufend gewährte Erfolgserlebnisse“ besonders wichtig. Sein Vorbild sind die USA, hier gibt es nach Angaben von Profikids bereits mehr als 2.500 Computerschulen für Kinder. Um eine ähnliche Dichte zu erreichen, müßte es in Deutschland etwa 800 solcher Schulen geben, schätzt Ulrich Kramer, Initiator und Franchisegeber von Profikids. Er versucht seit 1994 diesen Markt zu erschließen. Seitdem wurden zwischen Lübeck und Reutlingen 28 Filialen gegründet. Kramer behauptet sogar, daß der frühe PC-Unterricht zur psychosozialen Gesundheit der kommenden Generation beitrage. Wer den Computer von Anfang an mit angenehmen Erinnerungen verknüpfe, sei später bei der Arbeit mit dem Gerät nicht so leicht zu frustrieren. Selbst den Vorwurf, Computerspiele förderten die Konsumorientierung, dreht Kramer ins Gegenteil: Allein wer mit dem Medium umgehen könne, entwickele die notwendige kritische Medienkompetenz. Nur durch die Schulung verliere der Computer seine mystisch-anziehende Wirkung.

Auch die Kreativität soll gefördert werden. Deshalb wird im zweiten Teil der Unterrichtsstunde „gemalt“ – mit Maus, Monitor und Malprogramm. Souverän schiebt Max die CD-ROM in den Computerschlitz. Weil die Geschwister heute mit dem Bauernhofprogramm gearbeitet haben, sollen sie ein Bauernhaus malen. Vicky gibt sich große Mühe, auf dem Bildschirm ein annähernd rechteckiges Gebilde zu produzieren. Doch Maria findet das Ergebnis „viel zu krumm“. Mit einem Mausklick aktiviert sie den „Staubsauger“, und klick – alles ist weg. Vicky mosert, Max nölt, und die Betreuerin ist im Streß. Die Studentin der Medienwirtschaft hat längere Zeit als Nachhilfelehrerin für Grundschüler gejobbt, bei Profikids gilt sie als pädagogische Fachkraft. Seine vier Honorarkräfte „müssen das Profikids-Zeichen auf der Stirn tragen“, sagt Stefan Raulf. Dafür gibt es 25 Mark in der Stunde und die Pflicht, an den unbezahlten internen Computerschulungen teilzunehmen. Spaß an Kindern und Computern ist wünschenswert – starke Nerven und pfundweise Geduld sind überlebenswichtig.

Bis das gezeichnete Häuschen bewohnbar aussieht, braucht es mehrere Entwürfe. Eine blaue Fassade wünscht sich das Mädchen. Ihr Bruder entscheidet: „Die Tür mach' ich schwarz.“ Daß das Farbtopfsymbol in der Menüleiste „Ausmalen“ bedeutet, wissen die beiden längst. Nur ein paar kurze Klicks, und das Haus, die Fenster und die Tür sind so gleichmäßig ausgemalt, wie es kein Stift jemals könnte. „Schön!“ lobt Maria, während die Geschwister ungeduldig darauf warten, ihr Werk endlich in den Händen zu halten. Es wird, wie Max erklärt, jetzt „frisch gedruckert“.

Den Flur der Computerschule schmücken reihenweise ähnliche Bilder, Häuser mit absolut ebenmäßig geschwungenen Dachziegeln und Entwürfe idealrunder Planeten. Daß Kinder ihre handgemachten Werke gegenüber so viel Perfektion für minderwertig halten, befürchtet Stefan Raulf jedoch nicht. Seine eigenen vier Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren malten jedenfalls trotz Computerschulung noch eifrig auf Papier. Es gehe auch nicht darum, das herkömmliche Spielen und Zeichnen zu verdrängen. Für pauschale 98 Mark im Monat werden alle „Profikids“, ob vier oder vierzehn Jahre alt, nicht länger als eine Zeitstunde in der Woche unterrichtet.

„Profikids. Die sind ja echt cool“, flimmert per Bildschirmschoner über den Monitor, als die Mutter ihre Zwillinge abholt. Auch sie ist voll des Lobes. Mit den neuen Techniken kenne sie sich nur wenig aus, Max und Vicky aber hätten in den zehn Monaten Computerschule eine Menge gelernt. Stefan Raulf habe ihr außerdem noch Kinder-Software genannt, die sie ihren Sprößlingen dann selbstredend gekauft habe. Zu Hause, gibt die Mutter zu, sitzen die Zwillinge immer öfter an Papas Computer. Ganz alleine.