Halbgötterdämmerung in Weiß

■ Wissenschaftliche Debatten: Fachleute aus aller Welt fordern verstärkt die Freigabe von Cannabis für medizinische Zwecke

Am 21. Februar berichtete die britische Fachzeitschrift New Scientist über eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese behauptet, Marihuana sei selbst bei gleich hohem Konsum wie jenem von Nikotin weniger gesundheitsschädlich. Auf nationaler Ebene geht die Debatte um Cannabis und Gesundheit in vielen Staaten bereits in eine ganz andere Richtung: Fachleute aus aller Welt beschäftigen sich mit der Pflanze als Medizin.

Großbritannien

– Vertreter der medizinischen Gesellschaft stellten am 18. November 1997 ein Buch zur medizinischen Verwendung von Cannabis und den Cannabinoiden vor. Darin wird gefordert: „Die Weltgesundheitsorganisation sollte die Betäubungsmittelkommission der Vereinten Nationen zur Neubewertung bestimmter Cannabinoide in der UNO-Konvention über psychotrope Substanzen anweisen.“

– Die Ärztevertreter appellierten auf der gleichen Pressekonferenz an die Gerichte, bis zu einer Gesetzesänderung Mitleid mit Schwerkranken zu zeigen, wenn diese Cannabis zu therapeutischen Zwecken verwenden.

– Am 2. November 1997 veröffentlichte die Zeitung Independent eine anonyme Umfrage unter den Parlamentsabgeordneten aller Parteien, nach der 70 Prozent der Parlamentarier für die Möglichkeit einer Verschreibung von Cannabis für medizinische Zwecke waren. Die Regierung sprach sich am 14. Januar 1998 allerdings dagegen aus, Cannabis auf ärztliches Rezept für Kranke legal zugänglich zu machen.

Holland

– Unter der Leitung von Marcel de Witt vom Stiching Maripharm in Rotterdam und Dr. Gorter vom Institut für onkologische und immunologische Forschung in Berlin findet seit November 1997 eine Beobachtungsstudie über die medizinische Verwendung von Marihuana statt. Maripharm beliefert holländische Apotheken mit standartisiertem Marihuana. Patienten erhalten die Droge auf ärztliches Rezept in Mengen von 25 Gramm.

Frankreich

– Der französische Gesundheitsminister Bernhard Kouchner kündigte Anfang Dezember 1997 ein Überdenken der bisherigen restriktiven französischen Drogenpolitik an. Dabei solle auch die Möglichkeit zur Nutzung von Cannabis zu arzneilichen Zwecken geschaffen werden. „Für einen Arzt könnte dies eine wirkliche Hilfe sein“, wird er zitiert.

USA

– Die US-amerikanische medizinische Gesellschaft (AMA) wandte sich in einer Resolution vom 9. Dezember 1997 gegen eine Verfolgung durch die Justizbehörden, wenn Ärzte mit ihren Patienten über eine medizinische Verwendung von Marihuana sprechen. Die Delegierten drängten die Bundesregierung zudem, „ausreichende finanzielle Unterstützung“ für klinische Forschung und „Zugang zu adäquaten Mengen von Marihuana durch qualifizierte Forscher“ zu gewährleisten.

– Die US-amerikanische Behörde zur Verfolgung von Drogenvergehen (DEA) sieht ausreichend Gründe zur Einleitung eines Verfahrens, welches die gegenwärtige Einstufung von Marihuana im amerikanischen Betäubungsmittelgesetz übrprüft, und hat am 19. Dezember 1997 eine Gesundheitsbehörde mit einem Gutachten beauftragt.

Kanada

– Justizministerin Anne McLellan fordert in Absprache mit Gesundheitsminister Allan Rock eine Debatte über die arzneiliche Verwendung von Marihuana. „Wir sollten nicht ängstlich sein, dieses Thema zu diskutieren“, wird sie in einer kanadischen Zeitung vom 21. November 1997 zitiert.

– Ein Richter aus Ontario sprach am 10. Dezember 1997 einem Mann aus Toronto das Recht zu, Marihuana anzubauen und zu verwenden, um seine schwere Epilepsie zu kontrollieren. Er bezeichnete das Gesetz, das eine medizinische Verwendung von Marihuana verbietet, als verfassungswidrig. Weitere Personen, die an Aids und Multiple Sklerose erkrankt sind, erwarten ihre Prozesse im April und Mai 1998.

– In mehreren Städten des südlichen Ontario sollen – illegale – Medizinische Marihuana Clubs nach amerikanischem Vorbild eröffnet werden, in denen Kranke Marihuana zum Selbstkostenpreis erhalten sollen. Dies erklärten die zukünftigen Betreiber der Klubs in einer Pressemitteilung vom 13. Februar 1998. Franjo Grotenhermen

Der Autor ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM): Maybachstr. 14, 50670 Köln, Telefon (0221) 9123033