Von der Bewußtseinserweiterung in die Askese

■ Als Hanf die Musikwelt eroberte, war er kreative Stimulans einer Protestgeneration. Dann kamen „Straight Edge“, „Heroin Chic“, die DJ-Kultur, und Hasch verlor seinen Kultstatus

Susanne Herrndorf zeigt sich verwundert. „Kiffen?“ Die Mitarbeiterin bei der Berliner Musiker- und Veranstaltungsagentur „Headquarter“ schüttelt den Kopf. „Das hat ziemlich nachgelassen in letzter Zeit.“ Susanne Herrndorf hat zahlreiche internationale und deutsche Musiker auf ihren Touren begleitet und dabei festgestellt: Unter Musikern hat Haschisch nicht mehr die Bedeutung, „die es in den Siebzigern mal hatte“. Hat Hanf die ihm zugeschriebene kreative Wirkung verloren?

Als die symbiotische Beziehung zwischen dem Hanf und der Popmusik begann, war Haschisch die Droge der Protestgeneration, die nicht werden wollte wie ihr Alter. Und der soff zwar wie ein Loch, schluckte Captagon und rauchte Filterlose, aber er kiffte nun mal nicht. Von Bewutseinserweiterung, dem Modebegriff der späten sechziger Jahre, hielt er auch nicht viel. Und das war genau der Aspekt, der die Musiker interessierte. Bands wie die Beatles und die psychedelischen Pink Floyd legten Wert darauf, ihre Platten möglichst bekifft einzuspielen.

Einen krfäftigen Schub versetzte dem Hanfkonsum der Welterfolg des Reggae. Hier tat sich vor allem Peter Tosh hervor, der in seiner selbsterwählten Mission als „Bushdoctor“ die Heilkräfte von „Ganja“ pries und sich in seinen Songs unermüdlich für die Legalisierung aussprach, was ihm häufige Knastaufenthalte bescherte.

Flugs war die Droge weltweit auf dem Gipfel der Popularität. Hanf war nun ein eigenständiges Symbol gegen die Ausbeutung der Dritten Welt, gegen Kapitalismus, USA und Bügelfalten. Selbst Abiturienten konnten über kariertem Hemd Rastamützen mit eingestricktem Cannabisblatt tragen, ohne den Aufstand des Lehrpersonals herauszufordern. Dieser Gipfel der Bewegung war gleichzeitig ihr Niedergang. Denn bleichgesichtige, rastamützentragende Betriebswirte sind das letzte, was eine Subkultur vertragen kann, die sich rühmt, aus dem ausgebeuteten Süden auferstanden zu sein.

Im Gegenzug eroberten Leute wie die Retorten-Vegetarier und Abstinenzler „Kajagoogoo“ die Hitparaden. Kein Alkohol, kein Nikotin, keine Drogen, nicht einmal Kaffee: „Straight-Edge“ hieß das jetzt und war der neueste Kult. Seltsamerweise war es insbesondere das Hardcore- und Punk- Genre, das diese klischeehaft bleichgesichtigen und reptilienhaften Gestalten in Scharen hervorbrachte. Auf den Bühnen tummelten sich plötzlich verkrampfte Musiker, die auf ihren Konzerten die Saalfenster aufrissen, wenn es jemand wagte zu rauchen.

Die Welt war noch nicht so weit. Hardcore und Nichtraucher paßten so schlecht zusammen, daß ein anderes Extrem erfunden wurde: Grunge und Nirvana. Deren Botschaft lautete: Wenn ihr cool sein wollt, greift zur Nadel. Allerdings wurde das Massenwirksame der Botschaft dadurch eingeschränkt, daß Sänger Kurt Cobain mit seinem Tod anschaulich die Folgen jener Philosophie demonstrierte.

Die Musiker hatten gelernt: Ihre Kollegen starben am Heroinmißbrauch oder landeten – ob nun wegen LSD oder der Steuerfahndung – in der Klapsmühle. Von einem Goldenen Joint war jedoch niemals etwas bekanntgeworden. Über das Kiffen als kreatives Element wurde nicht mehr geredet. Haschrauchen bestimmte den Alltag und büßte im Rahmen der Legalisierungsdebatte hierzulande seinen Kultstatus ein.

Heute fabulieren Künstler Songs und Texte über das Kiffen und engagieren sich gleichzeitig für die „Keine Macht den Drogen“- Kampagne. Alles kein Problem. Sogar die familienkompatiblen Fantastischen Vier rappen auf ihrer Plattte „Lauschgift“ über einen bekifften Tag im öffentlichen Nahverkehr. Doch seit mit dem Rauchen von Joints allenfalls noch Begriffe wie „nachwachsende Ressource“, Öko-Opas und Hanfjeans assoziiert werden, scheint Hanfkonsum unter Musikern keine herausragende Rolle mehr zu spielen.

Tendenzen zeigen die Drogenberichte der Bundesregierung, die eine generelle Verschiebung im Konsum von Rauschmitteln dokumentieren. Vor allem die neue Generation der DJs und die Technobewegung fühlt sich mit aufputschenden Drogen wohler. Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel: So konstruierte die amerikanische Band Ween eigens ein an eine Marihuanapfeife angeschlossenes Inhalationsgerät, um ihrer Platte „The Pod“ den richtigen psychedelischen Drive zu geben. Mirko Heinemann