Der wahre Preis der Ware

Bundesbank berechnet Inflationsrate neu: Die wahre Preissteigerung liege 0,75 Prozentpunkte unter der offiziellen Rate. Dennoch sei noch nicht mit Deflation zu rechnen  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Eine Energiesparlampe kostet bis zu zehnmal soviel wie eine normale Glühbirne. Dafür hält sie zehnmal so lange und verbraucht nur ein Fünftel soviel Energie. Wenn nun umweltbesorgte Verbraucher zunehmend teure Energiesparlampen kaufen und wenn somit die Ausgaben eines Durchschnittshaushalts für Glühbirnen steigen – ermittelt das Bundesamt für Statistik gestiegene Preise, also Inflation.

Aber handelt es sich dabei wirklich um eine Preissteigerung? Dieser Frage ging jetzt die Bundesbank in einem Diskussionspapier nach – und kam zu dem Schluß, daß die bisherige Inflationsberechnung gar nicht die wirkliche Preissteigerung darstellt. Die wahre Inflationsrate könne um bis zu 0,75 Prozentpunkte unter der vom Statistischen Bundesamt berechneten Zahl liegen – in der Bundesrepublik wären das statt derzeit 1,1 nur 0,35 Prozent.

Denn wenn neue, verbesserte Glühbirnen oder Computer auf den Markt kommen, sind sie natürlich erst mal teurer als die Vorgängermodelle. Aber der Verbraucher erhält für sein Geld ja auch mehr Leistung. Diese zusätzliche Leistung müsse man dann aber mit der Preissteigerung verrechnen, fordert die Bundesbank.

Die Bundesbank nennt außer dem technischen Fortschritt noch drei weitere Gründe für die Verzerrung bei der Inflationsberechnung. Zum einen sei der Warenkorb zu statisch: Die Verbraucher würden, wenn etwa Äpfel teurer werden, eben mehr zu Birnen greifen und würden so einzelnen Preissteigerungen wenigstens teilweise entgehen. Außerdem rechne das Bundesamt auch nicht ein, daß Verbraucher notfalls in günstigeren Läden einkaufen gehen – der Warenkorb der Statistiker bezieht sich auf den Einkauf in stets demselben Geschäft. Und drittens komme in jedem Jahr eine große Zahl neuer Produkte auf den Markt, die zwecks besserer Vermarktung zunächst besonders günstig angeboten würden. Auch diese Sonderangebote fehlten im Warenkorb.

Würde sich die neue Berechnungsweise in den Statistikämtern durchsetzen, brächen auf einmal scheinbar goldene Zeiten an. Denn das Wirtschaftswachstum wird immer um die Inflation bereinigt. Ohne Inflation aber wäre die Wachstumsrate deutlich höher. Auch die Rentenversicherungen beispielsweise könnten aufatmen, denn die Renten steigen mit der Inflation. Gewerkschafter hingegen hätten es schwerer, mit Verweis auf steigende Lebenshaltungskosten mehr Lohn durchzusetzen.

Bei der Bundesbank aber wiegelt man ab. Offenbar ging man dort längst davon aus, daß die offizielle Statistik einen Meßfehler aufweist, denn die Bundesbanker sprechen schon seit einiger Zeit von einer Preisstabilität, obwohl die offizielle Inflationsrate über einem Prozent liegt. Das Statistische Bundesamt wird seine Berechnungsweise wohl nicht ändern. Die Einberechnung der verschiedenen Faktoren wäre so kompliziert, daß die Inflationsrate nur mit enormen Verzögerungen bekanntgegeben werden könnte und dann als ökonomische Information kaum noch einen Zweck hätte.

Der US-Notenbankchef Alan Greenspan hatte angesichts weltweit sinkender Inflationsraten Anfang Januar erstmals vor einer drohenden Deflation gewarnt. Doch davor hat die Bundesbank keine Angst. Noch steigen die Preise, beruhigen die Frankfurter. Bankanalysten rechnen daher auch nicht damit, daß die Bundesbank ihre Geldpolitik nun drastisch ändern wird. An den Finanzmärkten allerdings stiegen schon mal die Kurse von Anleihen. Anleger spekulieren offenbar doch auf künftige Zinssenkungen.