Bonn sieht Jobwunder nahen

■ Bundesregierung verabschiedet optimistischen Jahreswirtschaftsbericht. Der prognostiziert drei Prozent Wachstum und Trendwende am Arbeitsmarkt - bis Dezember 200.000 Jobs mehr

Bonn (AP/rtr/taz) – Die Bundesregierung sieht wieder einmal ein Licht am Ende des Konjunkturtunnels: Sie erwartet ein leicht beschleunigtes Wirtschaftswachstum bei stabilen Preisen und vor allem die langersehnte Wende auf dem Arbeitsmarkt. Der vom Kabinett gestern verabschiedete Jahreswirtschaftsbericht geht davon aus, daß das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1998 im Jahresdurchschnitt um 2,5 bis 3,0 Prozent wachsen wird. Die Inflationsrate wird bei 1,5 Prozent erwartet. Zum Jahresende sollen 200.000 Menschen weniger ohne Arbeit sein als im Dezember 1997.

Damit würde der Anstieg der Arbeitslosigkeit erstmals seit mehreren Jahren auf einem allerdings sehr hohen Niveau zum Stillstand kommen. „Das Schlimmste liegt hinter uns“, behauptete Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt gestern bei der Vorlage des Berichts in Bonn.

Im Jahresdurchschnitt wird die Arbeitslosigkeit nach den Annahmen der Bundesregierung 1998 ähnlich hoch sein wie 1997. 4,4 Millionen Menschen – das sind 11,5 Prozent aller Erwerbspersonen – werden auch in diesem Jahr keinen Job finden. Die Arbeitslosenquote soll in Westdeutschland mit 9,5 Prozent nur halb so hoch ausfallen wie im Osten (19 Prozent). Im letzten Jahreswirtschaftsbericht hatte sich die Bundesregierung bei der Arbeitslosigkeit drastisch verschätzt: Die Zahl der Arbeitslosen war um 419.000 und nicht, wie angenommen, um 200.000 gestiegen, und die Zahl der Erwerbstätigen war sogar um 487.000 statt um 200.000 gesunken.

Da ist es kein Wunder, daß einige das Licht am Ende des Tunnels für eine selbstentzündete Kerze der Koalition halten. Nach Ansicht von DAG und DGB ist nämlich noch keine Trendwende in Sicht. Die Regierung setze auf das „Prinzip Hoffnung“, sagte die stellvertretende DAG-Vorsitzende Ursula Konitzer, die Arbeitslosigkeit werde in diesem Jahr auf Rekordniveau stagnieren. Der Bundesregierung warf sie „fortdauernde Untätigkeit" vor.

SPD-Fraktionsvize Anke Fuchs sprach von einem Versagen der Regierung Kohl. „Die neuen Bundesländer werden selbst nach der optimistischen Prognosen der Bundesregierung von der Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt“, sagte die SPD-Parlamentarierin.

Auch die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute beurteilen die Konjunkturentwicklung skeptischer als die Regierung. Das Ifo rechnet als Folge der Asienkrise mit einem Wirtschaftswachstum von nicht mehr als 2,5 Prozent. Das DIW erwartet nur einen Anstieg der Beschäftigung um 50.000 bis 60.000 Stellen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft geht sogar davon aus, daß die Beschäftigung um 0,3 Prozent zurückgehen wird.

Wirtschaftsverbände und Arbeitgeber begrüßten den Jahreswirtschaftsbericht dagegen erwartungsgemäß. Der BDI forderte die Regierung auf, ihren Reformkurs konsequenter fortzusetzen. nbo