Schon vor zwanzig Jahren wurde ihnen eine Lohnerhöhung versprochen, doch noch immer verdienen Strafgefangene mit ihrer Arbeit nur fünf Prozent eines Normalgehalts. Nun soll das Bundesverfassungsgericht dem Skandal ein Ende bereiten. Aus Karlsruhe Christian Rath

Knastarbeit lohnt sich nicht

„Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ fordern vier Strafgefangene vom Bundesverfassungsgericht. Sie halten die Hungerlöhne, die in deutschen Strafanstalten gezahlt werden, schlichtweg für verfassungswidrig. Mit etwas mehr als einer Mark pro Stunde und 200 Mark im Monat werden die Häftlinge derzeit abgespeist. Eine Erhöhung wird zwar schon lange für notwendig gehalten, aber der Staat hat kein Geld. Gestern fand in Karlsruhe eine ausführliche Anhörung statt. Bei der Anhörung ließ sich noch nicht ausmachen, wie die Richter entscheiden werden.

„Die Strafe ist der Freiheitsentzug“, daneben soll „kein weiteres Übel“ bestehen, so beschrieb Mitte der 70er Jahre Bundeskanzler Willy Brandt die geplante Strafvollzugsreform. Damals wurde das Gefängniswesen erstmals gesetzlich geregelt. Doch schon zu dieser Zeit gab es Streit um die Entlohnung der Gefangenen. Die sozialliberale Regierung liebäugelte mit einer Orientierung an Tariflöhnen, doch den Ländern ging alles zu schnell. Im Gesetz wurde ausdrücklich festgelegt, daß über eine „Erhöhung“ der Arbeitsentgelte erst im Jahr 1980 „befunden“ werden sollte. Doch der Gesetzgeber ließ den selbstgesetzten Termin einfach untätig verstreichen.

Seither gilt die Regel: Der Stundenlohn eines Gefangenen liegt bei fünf Prozent des Durchschnittsverdienstes der abhängig Beschäftigten. In den alten Ländern ergibt sich so ein Verdienst von 1,28 Mark pro Stunde, in den neuen Ländern sind es sogar nur 1,09 Mark. Dieser Ecklohn kann je nach Tätigkeit in fünf Stufen etwas erhöht oder erniedrigt werden, auch minimale Leistungszulagen sind möglich. Doch sosehr sich ein Gefangener auch müht, er kommt nicht auf mehr als 300 Mark im Monat.

„Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden“, heißt es im Strafvollzugsgesetz. Davon können die Strafgefangenen auch weiterhin nur träumen. Die minimale Entlohnung ihrer Arbeit sagt den Häftlingen vor allem eines: daß sie nichts wert sind. Und unterschwellig verstärkt sich die Gewißheit: Mit legaler Arbeit kann man nichts verdienen. Auch im Gefängnis sind die kleinen Geschäfte in der Schattenwirtschaft allemal lukrativer als ehrliche Plackerei beim Tütenkleben und Bücherbinden.

„Die Erziehung zur Freiheit in absoluter Unfreiheit“ findet faktisch nicht statt. Die Gefangenen haben kein Geld, ihre Angehörigen zu unterhalten. Diese sind praktisch mitbestraft und leben meist von Sozialhilfe. Auch Geld, um die Opfer zu entschädigen, ist nicht da. Die Täter sollen zwar lernen, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, doch die Mittel hierzu verweigert man ihnen konsequent. Auch ihren eigenen Schuldenberg (im Schnitt 25.000 Mark pro Person) können sie bei diesen Hungerlöhnen nicht reduzieren. Der Neustart in der Freiheit ist so von vornherein mit einer schweren Hypothek belastet.

Nicht einmal zur Rentenversicherung sind Strafgefangene zugelassen. Wenn sie mehrjährige Haftstrafen verbüßen, gehen ihnen erhebliche Beitragszeiten verloren. Die Folge: Im Alter erhalten sie höchstens Kleinrenten, die der Staat wieder mittels Sozialhilfe auffüllen muß. Nur in die Arbeitslosen- und Unfallversicherung zahlt der Staat für seine Gefangenen Beiträge ein.

Diese Situation ist seit langem bekannt, doch in der politischen Landschaft herrscht Stillstand. Zuletzt unternahm der Bundesrat vor zehn Jahren einen Anlauf, die Gefangenenarbeit aufzuwerten. Er offerierte eine Lohnerhöhung um 20 Prozent – was nicht schlecht klingt. Das hätte real aber nur einer Steigerung der Gefangenengehälter von fünf auf sechs Prozent der Normallöhne entsprochen.

Doch selbst diese minimale Verbesserung scheiterte. Die Bundesregierung begrüßte die Initiative, doch die Wahlperiode endete ohne Bundestagsbeschluß. Und inzwischen gibt es auch in den Ländern keine Mehrheit mehr für eine Lohnerhöhung. Der Volkswirt Axel Neu hatte in einem Gutachten für die Landesjustizverwaltungen ausgerechnet, daß eine Erhöhung der Knastlöhne auf Tarifniveau die Lohnkosten verzehnfachen würden. Mehrkosten in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark kämen auf die Länder zu.

Auch gestern vor dem Bundesverfassungsgericht blieben die Fronten starr. Heinz Lanfermann, Staatssekretär im Justizministerium, hielt eine Lohnerhöhung zwar für „sachlich und politisch wünschenswert“, einen Verfassungsverstoß konnte er in der gegenwärtigen Situation allerdings nicht erkennen. Für die Länder argumentierte der bayerische Justizminister Hermann Leeb noch stärker: „Angesichts einer Vielzahl öffentlicher Aufgaben muß und darf der Staat Prioritäten setzen und eine Überforderung der Staatshaushalte vermeiden.“ Vor der Verhandlung war der CSU-Mann besonders deutlich geworden. Eine drastische Lohnerhöhung für Strafgefangene wäre „dem anständigen Bürger nicht mehr vermittelbar“, sagte er.

Der Satz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ könne, so Leeb, schon deshalb nicht gelten, weil die Produktivität der Strafgefangenen viel geringer sei als in der freien Wirtschaft (siehe Artikel unten). Ebensowenig beeindruckte den Minister ein Hinweis auf das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip. „Seit 1975 haben sich die staatlichen Ausgaben für den Strafvollzug vervierfacht“, betonte Leeb. Mehr Sozialarbeiter, mehr Ausbildungsangebote, Renovierung der Gefängnisse – keineswegs sei der Staat untätig geblieben. Alles Heil in einer Erhöhung der Gefangenenlöhne zu sehen, das wollte der Landesminister jedenfalls nicht akzeptieren.

Welche Auswirkungen eine Lohnerhöhung auf die Resozialisierungschancen der Gefangenen haben wird, das wollte das Verfassungsgericht gern von den kriminologischen Sachverständigen wissen. Doch diese mußten weitgehend passen. Die Auswirkungen eines solchen „Ein-Punkt-Programms“ könne man schlecht beurteilen, betonte etwa Frieder Dünckel, schließlich sei Resozialisierung ein recht komplizierter Vorgang. Daß eine Stärkung des Selbstwertgefühls der Gefangenen aber günstige Wirkung haben könnte, bestätigten gestern alle geladenen Experten.

Mit Spannung wurde ein Bericht aus Österreich verfolgt. Dort erhalten Strafgefangene seit 1993 sechzig bis neunzig Prozent des niedrigsten Tariflohns. Eine Reform, die damals im Parlament einstimmig beschlossen wurde, denn die Mehrkosten hielten sich unter dem Strich durchaus in Grenzen. Zwar stiegen die Ausgaben für die Gefangenenentlohung von 45 Millionen auf 300 Millionen Mark pro Jahr. Doch unter dem Strich mußte der österreichische Staat nur 10 Millionen Mark echte Mehrkosten pro Jahr verbuchen. Ein Großteil der Mehrausgaben fließt direkt wieder an die Anstalten zurück, indem den Gefangenen eine Haftkostenbeteiligung abgezogen wird. Am Ende bekommen die österreichischen Häftlinge auch nur einen Stundenlohn von 1,70 bis 2,30 Mark. Für Schuldentilgung und Opferentschädigung bleibt also auch in Österreich wenig übrig.

Wie das Verfassungsgericht am Ende entscheiden wird, ist völlig offen. Mit einem Urteil wird erst in zwei bis drei Monaten gerechnet.