„Unsozialer Wohnungsbau“

■ Die neuen Förderungsrichtlinien der Baubehörde machen MieterInnen arm Von Marco Carini

Mit Lohnerhöhungen hat die Einzelhandels-Verkäuferin Gudrun F. ein Problem. Immer wenn die Gewerkschaften für sie in den Kampf um höhere Tariflöhne ziehen, bekommt die 33jährige das Grausen. Denn jede Gehaltsaufbesserung kostet Gudrun F. bares Geld. Schuld daran: des Bausenator Wagners neues Förderungssystem im sozialen Wohnungsbau, das seit Anfang des Jahres in Hamburg Gesetz ist. Es sorgt dafür, daß ihre Miete weit schneller steigt als ihr Einkommen und zum Leben immer weniger Geld bleibt.

Um möglichst vielen den Zugang zum sozialen Wohnungsbau zu öffnen, schuf Bausenator Eugen Wagner zum Jahresbeginn drei neue Förderungswege, mit denen auch Bezieher etwas höherer Einkommen in den Genuß einer öffentlich geförderten Bleibe kommen sollen. Wessen Gehalt allerdings über der Einkommensgrenze liegt, die zum Umzug in eine Sozialwohnung berechtigt, muß tief in die Tasche greifen. Die Anfangs-Kaltmieten liegen zwischen 12,50 (3. Förderungsweg) und stolzen 16,30 Mark (5. Förderungsweg). Ingo Theel, Vorstand der Hamburger „Baugenossenschaft freier Gewerkschafter“, klagt deshalb, daß die staatlich verordnete Mietbelastung längst dem „Mietenspiegelniveau“ entsprechen würde.

Da die Bemessungsgrenze sich in den kommenden Jahren nicht verändern soll, rutschen zudem die MieterInnen selbst bei einem Lohnanstieg, der allenfalls die Inflationsrate ausgleicht, binnen weniger Jahre vom dritten in den fünften Förderungsweg. Denn alle zwei Jahre wird ihr Einkommen in Zukunft behördlich überprüft werden.

So würde Gudrun F., deren Tarifeinkommen (brutto 3173 Mark) heute rund 26 Prozent über der Einkommensgrenze für Sozialwohnungen liegt, bei einer jährlichen Lohnsteigerung von nur drei Prozent bis zum Jahr 2000 von der dritten in die fünfte Förderungszone rutschen. Die Kaltmiete für ihre 45 Quadratmeter-Wohnung würde sich so innerhalb von fünf Jahren von 12,50 auf 18,10 Mark pro Quadratmeter hochschrauben: ein sattes Plus von 45 Prozent.

Bleiben der Verkäuferin heute nach Abzug von Miete und Nebenkosten noch rund 1350 Mark pro Monat zum Leben, werden es im Jahr 2000 nur noch knapp 1170 Mark sein. Doch die Mark wird dann – dank der Preissteigerungen - voraussichtlich nur noch rund 80 Pfennige wert sein.

Für die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Susanne Uhl verdient das neue Förderungssystem deshalb das Prädikat „unsozialer Wohnungs bau“. Das „ausbeuterische“ Mietenmodell bedeute den „Abschied vom Grundrecht aufs Wohnen“. Immer mehr Sozial-MieterInnen, klagt die Bürgerschaftlerin, müßten „weit mehr als ein Drittel ihres geringen Einkommens aufwenden, um ihr Dach über dem Kopf zu bezahlen“. Gudrun F. etwa müßte für ihre 45-Quadratmeter-Wohnung im Jahr 2000 inklusive Betriebskosten nicht weniger als 47 Prozent ihres Netto-Einkommens aufwenden.

Keine neue Tendenz. Eine aktuelle Analyse des Statistischen Landesamtes beweist eindrucksvoll, daß vor allem die Sozialmieten seit Jahren dazu beitragen, daß immer mehr HamburgerInnen immer größere Teile ihres Lohnes für die Miete aufwenden müssen. Denn während laut Statistikamt die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau seit 1987 jährlich „nur“ um durchschnittlich 4,4 Prozent kletterten, schnellten sie bei den Sozialwohnungen im Schnitt um 6,4 Prozent in die Höhe. Die Konsequenz: Mußte 1978 nur knapp jeder fünfzehnte Hamburger Haushalt mehr als 35 Prozent des Gesamteinkommens für die Miete aufwenden, erreichte 1993 schon mehr als jeder fünfte Haushalt diese Schmerzgrenze. Betroffen sind vor allem Bezieher niedriger Einkommen, denen ohnehin nur ein Minimum an Geld zum Leben verbleibt.