Neonazis sind wählbar

Kieler Verfassungsschutzbericht verortet rechtsextreme Szene: Hamburger Kader steuern auch „Bündnis Rechts für Lübeck“  ■ Von Nadia Berr

Braunes Gedankengut alleine reiche für ein Verbot nicht aus. Eckehard Wienholtz (SPD), Innenminister von Schleswig-Holstein, setzt ein bedauerndes Gesicht auf. Die Ziele des „Bündnisses Rechts für Lübeck“seien „ohne Zweifel die einer rechtsextremen Aktionsgemeinschaft“. Doch verbieten könne er den braunen Zusammenschluß, der bei den Kommunalwahlen am 22. März kandidiert und am Samstag in Lübeck demonstrieren wird, nicht. Bisher zumindest, betonte der Innenminister, als er gestern in Kiel den Schleswig-Holsteinischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1997 vorstellte.

1.560 Rechtsextreme gibt es demzufolge im nördlichen Bundesland. Während die Mitgliederzahlen in rechtsextremen Parteien stagnierten, habe sich das Anhängerpotential der „gewaltbereiten Neonazi-Szene“auf rund 150 Personen erhöht. Doch auch die Parteien, insbesondere die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)“, würden sich immer mehr am militanten Spektrum orientieren. Gezielt werbe sie sowohl in der Neonazi-Szene als auch in rechtsextremen Jugend-Subkulturen wie bei Skinheads.

Bei den anstehenden Wahlen kandidiert ausschließlich in Lübeck eine rechtsradikale Wählergemeinschaft, das „Bündnis Rechts“. Dessen Anhänger gingen „im Mantel des Biedermannes“auf Stimmenfang, so Wienholtz. Das solle von den eigentlichen Zielen ablenken, „so harmlos sind die nicht“. So gefährlich aber offenbar auch nicht, denn die möglichen Verbotskriterien für verfassungswidrige Vereine sieht Wienholtz „bisher“nicht erfüllt. Auch nicht einen Verstoß gegen die Idee der „Völkerverständigung“– obwohl das Bündnis, wie Verfassungsschutzchef Michael Wolf berichtet, wesentlich von „Neo-Nationalsozialisten“geprägt sei. Und der Neo-Nationalsozialismus, so heißt es an anderer Stelle seines Berichtes wörtlich, „sucht seine Traditionen und seine Leitbilder ausdrücklich in der Zeit des Nationalsozialismus“.

Auch Hamburger Neonazi-Kader mischen in Schleswig-Holstein mit, insbesondere aus dem Umfeld der verbotenen „Nationalen Liste“(NL). Eine „steuernde“Rolle spiele der ehemalige NL-Vorsitzende Thomas Wulff – auch im „Bündnis Rechts“. Selbst das sei aber kein Verbotsgrund.

Mit dem bedauernden Kopfschütteln ist es dann aber doch schnell vorbei. Im Grunde nämlich, findet der Innenminister, sei die Frage des Verbotes ohnehin eine Ersatzdiskussion. Wichtiger sei, daß die Wähler ihr Kreuzchen nicht rechtsaußen abgeben. Und darauf vertraue er zutiefst: „Das demokratische Lübeck wehrt sich.“Sein Beispiel: Wenn morgen das Bündnis mit rund 300 bis 400 Neonazis in der Stadt demonstriere, seien auch die demokratischen Kräfte zu Protesten auf den Beinen. Das Innenministerium rechnet mit rund 600 GegendemonstrantInnen.

Auch der persönliche Referent von Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD), Holger Walter, glaubt fest an die Lübecker Bevölkerung. Er vertritt gar die These, daß sich die Neonazis gerade aufgrund der starken antirassistischen Kräfte in Lübeck die Hansestadt als Hauptaktionsfeld erwählt hätten. Nach den Brandanschlägen der vergangenen Jahre habe die Bevölkerung sich so entschieden gegen Rechtsradikalismus gewandt und diesen „verbal bekämpft“, daß die Nazis die Stadt als Bühne nutzten.

Antifaschistische Kundgebung und Demo: Samstag, 11 Uhr, Am Koberg in Lübeck