: Hauptsache bunt
■ 100 Tage extra-seicht: Serien-Recycling, Happy-News und Hofberichterstattung auf HH1 Von Silke Mertins
Flammen züngeln aus den Wohnungsfenstern, Blutlachen und gequetschte Autoreste am Straßenrand, Meuchelmörder werden eingefangen – das sind Bilder, wie die MacherInnen des Hamburger Lokalfernsehens HH1 sie lieben. Seit 100 Tagen ist der Privat-Kanal auf Sendung; 100 Tage unbelastet von dem Anspruch, „qualitativer Marktführer“ zu werden, wie HH1-Sprecher Konrad Politt seinerzeit vorsichtshalber formulierte.
Gesagt, getan: Als Müllhalde von Super-RTL werden erbarmungslos Uralt-Serien wie „Der Chef“ gleich zweimal pro Abend über den Äther gejagt. Mit ausrangierten Comic-Strips für die lieben Kleinen wird die Zeit zwischen der Werbung überbrückt, und wenn es allzu große Lücken gibt, darf Pausenclown „Hausmeister Rudi“ mit nicht endenden Scherzen auf den Lippen durch die Stadt rennen und sich von den HamburgerInnen bestätigen lassen, daß bisher eigentlich kaum einer den Sender zur Kenntnis genommen hat.
Aber halt, es gibt ja auch den „News-Report“ und andere Versuche, mit einem Hauch von Stadtgeschehen die Geschichte des Lokaljournalismus neu zu schreiben. Doch, doch, die Unterhaltungs-News werden durchaus mit etwas Politik garniert. Moderatorin Sandra Maahns zum Beispiel präsentiert mit Schmollmund und vier-wörtrigen Sätzen die neuesten Statt-Partei-Querelen oder die Sinnkrise der SPD. Alles im 10-Sekunden-Takt. Im „Nachtcafé“ durfte Bürgermeister Henning Voscherau endlich einmal in epischer Breite sattsam bekannter Phrasen darlegen, was sowieso keiner wissen will. Sandra honoriert es mit schmolligem Lächeln. Henning ist dankbar. Astreine Hofberichterstattung.
Obwohl manchmal, und immer einen Tick zu spät, versucht man sich im Streitgespräch: Zwei aufgeregt schnatternde Moderatoren bemühen sich aus den geladenen Gästen eine Regierungskrise herauszukitzeln, die schon längst vorbei ist. Man hätte doch nicht an der falschen Stelle sparen sollen. Dafür wissen die News-Reporter inzwischen ihre Kamaras zu bedienen. Die Bilderjäger sind Filmer, Berichterstatter, Tontechniker und Cutter zugleich. Interviewpartner können ihre Mikros schließlich auch selber halten. Im Ergebnis zählt sowieso nur: Hauptsache, schön bunt, der Beitrag megakurz und das Gesicht, das ihn präsentiert, jung, hübsch und dynamisch.
Locker-flockig kommt der Stau ebenso daher wie die Kultur. „Szene“ verspricht und hält nichts. Warum einen Kinofilm ansehen, womöglich gar bewerten, wenn man aus ein paar farbenfrohen, actionreichen Ausschnitten und dem vorgelesenen Promotext auch einen netten Beitrag schneidern kann?
Ob es HH1 gelingt, die Boulevardblatt-, Bravo-, SuperIllu-LeserInnen und die Kommerzradio-Fans mit ihren stundenlangen „Ich heiße Klaus und grüße meine Freundin Sabine“, einzufangen, ist ohnehin egal. Die Quoten werden nicht einmal gemessen. Und für den Rest der GlotzerInnen ist HH1 sowieso der Sender, auf den sie nicht gewartet haben.
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