Ein ganz massiver Drop Out bei den Jugendlichen

■ Freizeitsport immer beliebter / Vereine überlegen, Fachverbände zu verlassen / HSB plant Satzungsänderung

Sport zu treiben liegt im Jahrzehnt des Körperkults voll im Trend. So viele HamburgerInnen wie noch nie, insgesamt 473.000, sind heute Mitglied in einem der 746 gemeinnützigen Sportvereine. Weitere 200.000 allerdings gehen lieber in kommerzielle Center oder Studios, ein Indiz für geänderte Ansprüche. „Es gibt eine Entwicklung, mehr Freizeitsport zu machen“, weiß Anne Heitmann, Sprecherin des Hamburger Sportbundes (HSB). Soll heißen: Weg vom Spitzensport, weg von starren Trainingszeiten und regelmäßigen Wettkämpfen.

Und gleichfalls weg von Verbänden, die – wie gehabt – Leistungssport organisieren und sich dafür das Geld auch von denen holen, die dieses Angebot gar nicht nutzen wollen? „Theoretisch könnten wir auch ohne Fachverbände leben,“, meint Jürgen Hering, Vorsitzender von Sportspaß, „der einzige Vorteil ist, daß wir dort Übungsleiter ausbilden lassen können.“

Der Name des 1977 gegründeten Vereins ist Programm. Gymnastik und Gesundheitssport machen den Löwenanteil der 240 wöchentlichen Angebote aus. Das rentiert sich: Mit über 10.000 Aktiven, 70 Prozent davon sind Frauen, ist Sportspaß heute Hamburgs größter Verein.

Seit Jahren wird unter den Freizeitsportlern debattiert, ob nicht ein eigener Verband die Interessen besser vertreten könnte. Jürgen Hering möchte aber dem Verband für Turnen und Freizeit (VTF), dem Sportspaß angehört, „nicht das Wasser abgraben, immerhin sind das die einzigen, die was tun“. In der Tat: Der VTF engagiert sich mit zahlreichen Kampagnen und Fortbildungen für Übungsleiter im Bereich Freizeit und Gesundheit.

Ganz uneigennützig sind die Aktivitäten des größten Fachverbandes in Hamburg jedoch nicht: Die Vereine müssen für die Serviceleistungen des HSB und der 49 Verbände bezahlen. Beim VTF kommt da mit 95.000 Aktiven und sechs Mark pro Kind bzw. sieben Mark fünfzig pro Erwachsenen und Jahr mehr als eine halbe Million Mark zusammen. „Die Verbände haben nichts zu befürchten, wenn sie nicht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei gehen“, wiegt sich die VTF-Lehrreferentin Ulrike Heldt in Sicherheit.

Ähnlich gelassen sieht Gerd Griem, Geschäftsführer des Hamburger Volleyballverbandes, dem Freizeittrend entgegen. Der weitsichtige Sportfunktionär hatte die Zeichen der Zeit früh erkannt und bereits 1972 trotz anfänglicher Widerstände des HSB Mixed- und Hobbyrunden ins Leben gerufen. Mittlerweile machen pro Jahr über 250 Volleyball-Mannschaften mit. „Da entwickelt sich natürlich auch eine Eigendynamik“, erklärt Griem, „viele Freizeitturniere werden von den Teilnehmern selbst organisiert.“

Der Erfolg von Sport-spaß und die eigene Mitgliederent-wicklung geben selbst den Vertretern von König Fußball zu denken. „Auch eine verkrustete Sportart wie Fußball muß neue Wege gehen“, so die Selbsterkennt-nis von Thomas Runge. „Mit der Bundesliga als Vorbild rennen uns die Jungen die Bude ein“, erläutert der Projektleiter für Freizeit- und Breitensport beim Hamburger Fußballverband (HFV). Und weiter: „Sobald sie langsam selbständig werden, bleiben sie einfach weg. Wir haben einen echten Drop Out bei der A-Jugend“.

Sein neues Konzept beinhaltet eine am Gesundheitssport orientierte Trainerausbildung, neue Spielformen und mehr Freiräume für die Nachwuchskicker. „Die sollen lieber mal schwimmen gehen, als zweimal die Woche zum Training“, meint Runge. Nach und nach will er den „alten Kämpfern in den Vereinen“ das neue Bewußtsein näherbringen.

Ob die Bemühungen der alteingesessenen Verbände ausreichen, wird sich schon bald zeigen. Denn im Herbst kommt Bewegung ins überkommene System der Hamburger Sportbürokratie. Friedel Gütt, Präsident des HSB und damit oberster Sportfunktionär, zieht die Notbremse. Er möchte den Interessenkonflikt zwischen Wettkampf- und Freizeitsport durch eine einschneidende Satzungsänderung lösen. „Ich halte die Direktaufnahme von Vereinen in den HSB für eine akzeptable Lösung“, sagt Gütt über die Regelung, die es in Schleswig-Holstein und Neufünfland bereits gibt. Ein Teil der Gelder würde dennoch an die Fachverbände fließen. Im November wird der HSB über diese Satzungsänderung diskutieren. Rainer Glitz