Valium statt Aspirin

■ Ein Saisonauftakt-Gespräch mit Hamburgs Schiri-Boß Friedrich Retzmann

Unparteiisch sein zu müssen ist ein schweres Los, denn mindestens eine Seite fühlt sich grundsätzlich immer über den Löffel balbiert. Schon deshalb sind Schiedsrichter um ihren Job nicht zu beneiden. Aber auch sonst nicht. Ist doch weitaus Angenehmeres vorstellbar, als sich wahlweise als „Pfeife der Nation“ oder „schwarze Sau“ titulieren zu lassen. Andererseits: Wer Treffer anerkennt, die keine sind („Das Phantomtor von München“), darf sich nicht wundern, wenn die Reaktion oftmals etwas deutlicher gerät. Friedrich Retzmann weiß das zur Genüge: 33 Bundesligaspiele leitete er selbst zwischen 1980 und 1985. Seit vier Jahren ist er Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses im Hamburger Fußballverband. Gestern feierte der Halstenbeker seinen 50. Geburtstag.

taz: Sie selber pfeifen noch ab und zu Bezirksligaspiele, wie auch diesen Sonntag um 15 Uhr Croatia gegen Urania auf dem Sportplatz Dulsberg Süd. Was wünschen Sie Ihren Bundesliga-Kollegen für die heute beginnende Saison?

Friedrich Retzmann: Vor allem, daß die Medien fair mit ihnen umgehen. In einigen Fällen sind ja schon Schiedsrichter wegen strittiger Entscheidungen von den Medien in Schutz genommen worden.

Der DFB war da kürzlich weniger zimperlich. Er ließ das Zweitligaspiel Chemnitz gegen Leipzig wiederholen, weil der Schiri den falschen Mann vom Platz gestellt hatte.

Unangreifbare Tatsachenentscheidungen sind ein elementarer Bestandteil dieses Sports. Deshalb ist es gut, daß die FIFA darauf drängt, daß dies auch von den DFB-Sportgerichten beachtet wird (der Weltfußballverband hatte die DFB-Entscheidung wieder revidiert; die Red.). Dies hat nichts damit zu tun, daß Schiedsrichter Fehler, die sie gemacht haben, gegenüber der Öffentlichkeit eingestehen sollen.

Es kommen immer wieder komische Sachen beim Fußball vor, auch wenn die meisten Geschichten wohl „hochsterilisiert“ sind (Bruno Labbadia). Was war das Lustigste, das Sie als Schiri erlebt haben?

Das war, als ich in Dortmund feststellte, daß mein Linienrichter wegen seiner Kopfschmerzen versehentlich Valium statt Aspirin genommen hatte. Deswegen kamen seine Signale ungewohnt langsam, zum Teil auch falsch.

Das kann passieren. Die Zuschauer sorgen mit Trillerpfeifen auch zusätzlich für Irritationen.

In so einem Fall kann man nur noch über Mannschaftsführer und Stadionsprecher an die Vernunft der Fans appellieren.

Wenn die das überhaupt mitbekommen. Gerade am Millerntor ist fast immer ein Heidenradau, wenn St. Pauli spielt..

Ja, da herrscht meistens eine tolle Atmosphäre. Den Schiedsrichtern macht es meist auch viel Spaß, dort ihr Amt auszuüben.

Viel Vergnügen scheint diesen auch das Essen zu bereiten. Muß man zehn Kilo Übergewicht haben, um Schiri sein zu dürfen?

Natürlich nicht. Möglicherweise wird hier Gewicht mit Gewichtigkeit verwechselt.

Fragen: Kay Mortensen