Zum Staunen und Gruseln

■ Im Hamburger Schulmuseum informieren über 10.000 Ausstellungsstücke über die gar nicht so gute alte Schulzeit Von Timo Hoffmann

In diesen Räumen ist immer „Schulanfang“. Bunte Schultüten baumeln von der Decke, die Kinder, die hier herumwandern, haben einen uralten Schulranzen umgeschnallt und schmökern, die Schiefertafel unterm Arm, in einer Fibel aus der Kaiserzeit. Derzeit sind es zwar nur die Papp-SchülerInnen von 1915, die den Eingang bevölkern, doch sobald die Sommerferien zu Ende sind, kommt wieder Leben in Hamburgs einziges Schulmuseum.

„Wir wollen kein Museum im klassischen Sinne sein, wo man sich nur umguckt“, erläutert die stellvertretende Museumsleiterin Uta Percy ihr Konzept. Neben den üblichen Vitrinen setzt sie daher in erster Linie auf den hautnahen Kontakt zu den Ausstellungsstücken, um die kleinen und großen BesucherInnen des Museums in seinen historischen Bann zu ziehen.

Eröffnet wurden die Ausstellungsräume in der Rudolf-Roß-Schule in der Neustädter Straße schon 1991 vom „Verein zur Förderung der Hamburger Schulgeschichte“, den der Hamburger Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger gegründet hat. Mittlerweile hat sich die Einrichtung etabliert: Rund 250 BesucherInnen staunen und gruseln sich wöchentlich über die mehr als 10.000 Exponate aus 120 Jahren Schulgeschichte. Hauptsächlich sind es Hamburger und auswärtige Schulklassen, die das Angebot nutzen, die Lehrmethoden von damals bis heute kennenzulernen. Doch auch die Schulbehörde bildet im Museum ihre LehrerInnen und Lehramtsstudenten noch aus, genauso gehören Historiker längst zum ständigen Besucherstamm.

Das macht nicht nur Freude. Sieben Personen arbeiten hier zur Zeit, „und selbst das reicht kaum, wir müssen viel improvisieren“, klagt Uta Percy. Ein bis zwei Führungen pro Tag, daneben Dokumentation, Archivierung und zum Teil Restaurierung der Exponate müssen bewältigt werden. Finanziert wird das Museum mit ABM-Mitteln, Spenden und Finanzspritzen des Bezirksamtes.

Percy, im Hauptberuf Lehrerin, arbeitet seit einem halben Jahr an einem Projekt, das ihr besonders am Herzen liegt: Vom 21. August an beherbergt das Hamburger Rathaus drei Wochen lang eine Sonderausstellung zum Thema: „Schulanfang ohne Schultüte – Schule von 1945 und 1949 zwischen Zerstörung und Neubeginn“. Ab Oktober werden die Schautafeln dann für ein Jahr in den eigenen Museumsräumen präsentiert.

Die Museums-Crew bastelt derzeit noch an den 34 bebilderten Tafeln, die sich nicht nur auf die mageren Jahre der Nachkriegszeit beschränken, sondern auch die propagandistische Pädagogik des Dritten Reiches mit einbeziehen. So beschäftigt sich eine Schautafel mit den Motiven der NS-Machthaber für die damals übliche Kinderlandverschickung: Nicht das Aufpäppeln blasser Großstadtkinder stand dabei im Vordergrund, sondern die Chance, die Kleinen unter Ausschluß ihrer Eltern in ein rassistisches Gedanken-Korsett zwängen zu können. Auf einer anderen Tafel beängstigt der Auszug aus einem Englischbuch jener Zeit. Anhand des Textes „The Führer Is Coming“ wurde den SchülerInnen neben dem Gefühl für die englische Sprache auch gleich der gottähnliche Status ihres Diktators nahegebracht.

Die Ausstellungswände für das Rathaus passen zum hauseigenen Konzept. Denn Pädagogik soll hier immer in ihrem historischen und politischen Kontext verstanden werden. So können die MuseumsbesucherInnen zum Beispiel in einem zu einem kaiserzeitlichen Klassenzimmer umgebauten Raum an einem Probeunterricht teilnehmen. Eingezwängt in unbequeme hölzerne Pulte, Hände auf dem Tisch, Augen geradeaus, dürfen sie bewegungslos dem endlosen Monolog des Lehrers lauschen. Wer die Augen schweifen läßt, wird an die drakonischen Strafen von damals erinnert: „Bernhard – 7 Schläge auf den Rücken – eigensinnig u. wollte nicht lesen“, beschreibt der Auszug aus einem Klassenbuch von 1906 die seinerzeit üblichen disziplinarischen Maßnahmen.

Den bedingungslos autoritären Erziehungsmethoden des Kaiserreiches folgte um die Jahrhundertwende eine Reformbewegung, die noch heute gültig ist: Erziehung muß vom Kind ausgehen und auf das Kind zugeschnitten sein. In den 20er Jahren brachte das erste bunt-bebilderte, in großen Buchstaben geschriebene Kinderbuch, die „Hansa-Fibel“, frischen Wind in die bis dahin tristen Hamburger Klassenzimmer. Kleine BesucherInnen bekommen von Percy zur Abschreckung deshalb auch Schulbücher gezeigt, die vor der „Hansa-Fibel“ entstanden: Weder Bilder noch Farben lockern das kleingedruckte Schriftbild auf.

Kein Wunder also, daß die BesucherIn nach diesem kontrastreichen Programm den altertümlichen Tornister erleichtert wieder an den Nagel hängt.

Das Hamburger Schulmuseum (Neustädter Straße 60, Zugang Poolstraße) ist montags bis donnerstags von neun bis 16 Uhr und freitags bis 15.30 Uhr geöffnet. Schulklassen und Gruppen können sich unter Tel.: 35 29 46 anmelden.