Mit Knieschonern

■ In der Roten Flora lief zwei Tage lang das Tanztheaterstück „Gisela“

Giselle, das Bauernmädchen, scheidet dahin, als ihr die Unmöglichkeit einer Vermählung mit dem Herzog Albert bewußt wird. Als Besucherin aus dem Totenreich aber hat sie Gelegenheit, ihrem einstigen Liebsten das Leben zu retten und erweist sich so noch nach ihrem Tode der irdischen Liebe wahrhaft würdig.

Die Rote Flora zeigte am 3. und 4. August das Tanztheaterstück Gisela in einer Inszenierung von Claudia Marie Surbir, das diese rührende Geschichte erzählt – beziehungsweise, wir sind ja nicht mehr in der Romantik, gerade nicht mehr erzählt. Es arbeitet sehr frei nach dem phantastischen Ballettstück Giselle von Saint-Georges, Gautier und Coralli, das 1841 in Paris zur Uraufführung gelangte.

Aus der Giselle des 19. Jahrhunderts wird im 20. Gisela. Zwar bezahlt letztere die Liebe nicht mehr mit ihrem Leben, der Liebe ihren Tribut zu entrichten hat sie dennoch. Denn den Glauben an die himmlische Liebe hat man ihr genommen und sie statt dessen in die „Beziehungskiste“ verfrachtet. Die Romantik ist im 19. Jahrhundert verblieben, und so entbrennen vor den Augen der Zuschauer Szenen aus dem wirklichen Leben jener Verstrickungen, die sich zwischen Mann und Frau gemeinhin ergeben. Kein Wunder, daß wir es da mit fünf Giselas zu tun haben, denn eine allein wäre außerstande, diese Fülle an wechselnden Anziehungs- und Abstoßungskräften zu bewältigen.

Die Palette der Liebeshändel ist groß. Sie reicht von den zarten Lockungen eines jungen Beaus, die sich, kaum erhört, in grausame Machtdemonstrationen wandeln. Und sie gehen bis zum verbissenen Ehekrach, der um die Lautstärkeregelung eines Kassettenrecorders entbrennt, welcher Marilyn Monroes Lied „I–m Through With Love“ dudelt. Ratlos findet dieser Streit sein Ende in einer angedeuteten Masturbationsszene des Gatten mit dem Recorder.

Das alles ist schön anzusehen – und oft auch von großer Komik. Etwa wenn die Darsteller sich zu Beginn des Stückes wie im Liebeswerben präsentieren und einer nach dem anderen auf absurde bis clowneske Art an einer Kontaktaufnahme scheitert.

Eine auf der Bühne stehende improvisierte Wippe, auf der die Darsteller sich meist paarweise gymnastisch abarbeiten, steht so kaum mehr als Symbol der Brücke zwischen dem Reich der Toten und der Lebenden, sondern wird schlicht zum Turngerät des Balanceaktes zwischen den Geschlechtern. Der führt zu Lädierungen. Heutige Frauen wissen das: All die Giselas tragen neben ihren schönen renaissancistisch anmutenden Kostümen auch Knieschoner.

Petra Langemeyer