HALs Fenster oder: Das proletarische Betriebssystem

Dreißig Jahre ist es her, daß Stanley Kubrick mit seinem Science-fiction-Film „2001: Odyssee im Weltraum“ einen Blick ins faszinierende Zeitalter der Computertechnologie riskierte und damit einen Kinohit der Klassikerkategorie landete. Die bedrückende Vision, Computer wie Kubricks „HAL“ könnten je Schicksale bestimmen, ist einem ganz anderen Horror gewichen: Die Benutzer von Personalcomputern fürchten sich jetzt vor einem Systemabsturz  ■ Von Niklaus Hablützel

In Stanley Kubricks epochalem Film „2001:Odyssee im Weltraum“ steuert ein Computer ein ganzes Raumschiff. Viel ist nicht von ihm zu sehen, er ist es, der alles sieht. Konsequenterweise kommt er hauptsächlich als Auge ins Bild, ein rot leuchtendes, kreisrundes Auge. Auf den dramatischen Höhepunkten füllt es die ganze Leinwand aus, blinkend und böse. Tatsächlich ist dieser Computer dabei, die ganze Besatzung umzubringen, der Film hat wie kaum ein anderes Kunstwerk die Angst vor diesen Maschinen neuer Art zur Sprache gebracht.

Auch Eisenbahnen und Autos haben eine unbestimmte allgemeine Angst ausgelöst, als sie neu waren. Aber man konnte immerhin sehen, was sie tun. Sie haben Motoren und transportieren Güter und Menschen. Lebensgefährlich sind sie geblieben, doch die allgemeine Angst vor dieser Technik ist der speziellen Vorsorge gegen Verkehrsunfälle gewichen. Der Computer ist anders. Es ist sehr viel schwerer zu begreifen, was er tut. Wir sehen gewisse Ergebnisse, sehen aber nicht, wie sie entstehen. Dennoch hat auch der Computer sich durchgesetzt. Er ist Produktionsmittel und Konsumartikel mit fetischistischen Qualitäten. Er wird sogar geliebt. Wenn nächste Woche in Hannover die CeBit beginnt, die traditionelle deutsche Computermesse, scheint das magische Auge der allmächtigen Maschine aus dem Bewußtsein verschwunden zu sein. Es ist nicht nur ein Computer zu sehen, sondern viele tausend, und nicht sie sind es, die uns anblicken und anblinken. Die Messebesucher vielmehr sind es, die auf die Bildschirme schauen, sie drängen sich darum, ganz zweifellos nicht in der Erwartung einer tödlichen Gefahr, sondern aus lustvoller Neugier. Dabei stört sie keineswegs, daß sie doch nur Bekanntes zu sehen bekommen. Denn beinahe überall ist das Betriebssystem Windows von Microsoft installiert – aus dem Einheitsrahmen fällt nur der Stand der Firma Apple, aber der wird jedes Jahr weniger besucht.

Die große Mehrheit der vielen tausend Bildschirme in den Messehallen leuchtet in dem immer selben, zum Standard erhobenen matten Blaugrün. Eine ruhige Farbe, kein Alarmsignal. Vor ihrem Hintergrund hängen kleine Bildchen, von denen eines wieder einen kleinen Computer zeigt. Offenbar muß diese Maschine ständig auf sich selbst verweisen. Andere stellen Aktenordner dar, noch andere sind nicht auf Anhieb zu deuten. Aber Besucher der CeBit wissen natürlich längst, daß auch die unverständlichen Symbole mit der Maus angeklickt werden können. Und was dann geschieht, erklärt selbst für Neulinge den Namen des Programms, das Bill Gates, den Gründer der Herstellerfirma, zum wahrscheinlich reichsten Mann der Welt gemacht hat. Ein Fenster öffnet sich, mehrere Fenster sogar: Windows. Darin laufen andere Programme ab, Anwendungen des Grundsystems, die irgend etwas möglicherweise Nützliches oder Unterhaltsames mit dieser Maschine anstellen – von einer tödlichen Gefahr kann angesichts dieser spielerischen Leichtigkeit ernsthaft nicht die Rede sein.

Gleichwohl lebt die Angst vor dem Computer weiter, der in Kubricks Film die Menschen ausschaltet. Sie ist spürbar, wenn Eltern ihren Kinder das Spielen mit dem Computer verbieten und Politiker aller Parteien das Gefühl haben, sie müßten Gesetze erlassen, die uns alle vor schwerem Schaden bewahren. Durch die Fenster auf dem Bildschirm könnten Gewalt, Pornographie, Terror und politische Verblendung in die Familie, den Staat und die Seelen der Kinder eindringen, so lauten die überraschend einheitlichen Begründungen. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen, daß solche Gefahren, wenn sie real sind, Gefahren der Gesellschaft und nicht ihrer Technik sind. Dahinter steckt die Angst vor dem bösen Auge des Computers, der in Kubricks Film „HAL9000“ heißt.

Windows hat es nur zivilisiert, gesellschaftsfähig gemacht. HAL öffnete keine Fenster, er schloß die Raumfahrer für immer in ihre Tiefkühltruhen ein, in denen sie gehofft hatten, die lange Reise zu den Grenzen des Universums zu überleben. Windows scheint kaum mehr als eine Parodie dieses Mörders zu sein, doch eines ist beiden gemeinsam: HALs Auge war überall, es wachte über jeden Arbeitsplatz und jede Schlafkammer des Raumschiffs. Auch Windows ist überall, auf jedem Schreibtisch zu Hause, in jedem Büro, in Banken, in Amtsstuben und Schulen, und es ist dabei, auch das Wohnzimmer zu erobern. Vielleicht wird es einmal auch den Fernseher von seinem Stammplatz verdrängen. Wenn das geschieht, woran Fachleute freilich zweifeln, wäre HALs Triumph vollkommen.

Wo aber ist sein Auge geblieben? Es ist nicht mehr zu sehen. Die Warnung ist ausgeschaltet. Das einzige, das noch blinkt, ist die Werbung, die aus einem die ganze Welt umspannenden Verband von Computern auf diese allgegenwärtige Projektionsfläche gespielt wird. HAL hat sich millionenfach vervielfältigt, er hat die ideale Existenzform gefunden. Er kennt keine räumliche Entfernung mehr, jeder Ort ist für ihn nur eine Funktion seines Netzes. Und das böse Auge ist durch sein Gegenteil ersetzt worden: das Fenster, das einen Ausblick in immer weitere Fernen anbietet. Ein wenig Neues ist in dieser Hinsicht tatsächlich anzukündigen. Windows98 wird, wenn auch noch nicht zur CeBit, wohl aber im Sommer dieses Jahres auf den Markt kommen: Bill Gates' Antwort auf die Herausforderung des Internet.

Denn nicht von Anfang an war Microsoft darauf vorbereitet, daß aus dem Computernetz des Pentagon ein neues Massenmedium wurde. Die Funktionen, die dafür nötig sind, mußten nachträglich in das System eingebaut werden. Windows98 jedoch wird sie von vornherein enthalten. Die Werbeabteilung schreibt, es handle sich um die „evolutionäre Fortsetzung“ der Version95, die heute zusammen mit den älteren Fassungen der Versionsnummern 3 etwa 90 Prozent der Personalcomputer beherrscht.

Schon jetzt sind alle Testkopien restlos vergriffen, die Microsoft gegen eine geringe Schutzgebühr an Interessierte auszuliefern versprach. Das Hauptthema der diesjährigen Messegespräche steht damit fest. Das publizistische Feld ist schon lange bestellt, in einschlägigen Läden sind bereits die ersten Handbücher zu kaufen. Ohnehin lebt ein ganzer Zweig des Zeitschriftenmarktes davon, Laien die neuesten Entwicklungen aus dem Hause Microsoft nahezubringen.

Fachleute können darüber nur spotten. Microsoft holt immer nur nach, was andere längst können. Die Übergänge zwischen den Entwicklungsetappen des Windows-Programms sind fließend. Die deutlichste Zäsur setzte die Version95, die deshalb nach dem Jahrgang ihres Erscheinens benannt wurde – intern heißt sie nach der Nomenklatur, die in der Branche üblich ist, immer noch „4.00.950“. Nach dieser Kabbalistik dürfte der Nachfolger kaum die volle Nummer 5 verdienen. Die wichtigste Erweiterung ist schon im vergangenen Winter vorweggenommen worden, als Microsoft sein neues Programm für das Betrachten multimedialer Dokumente aus dem Internet auf den Markt brachte: den Browser „Internet Explorer4.0“.

Aufmerksamen Zeitungslesern wird der Fall als „Browserkrieg“ in Erinnerung sein. Selbst die amerikanische Regierung schaltete sich ein. Die Justizministerin drohte mit einer Klage, um zu verhindern, daß Microsoft die Vorherrschaft seines Windows95 dazu mißbraucht, sein Programm gegen die Konkurrenz von Netscape durchzusetzen. Netscape hat inzwischen kapituliert, doch vor dem Bundesgericht in Washington ist der Streit noch nicht beendet. Die Richter wollen untersuchen, ob nicht Windows98 insgesamt gegen die Regeln des fairen Wettbewerbs verstößt.

Bill Gates protestiert heftig gegen dieses Verfahren, das den technischen Fortschritt seiner Firma behindere. Er hat Recht. Die Fusion von Funktionen des Einzelarbeitsplatzes mit den Funktionen eines ganzen Netzes von Computern ist nur für Windows-Rechner neu. Unter anderen Systemen waren beide schon immer eine Einheit. Nicht zuletzt deswegen nehmen die Fachleute, die Besseres gewohnt sind, nur mit ohnmächtigem Zorn zur Kenntnis, daß ausgerechnet dieses, in ihren Augen minderwertige Programm alle anderen verdrängt hat.

Aber weder sie noch Wirtschaftsjuristen können erklären, wie es dazu kam. Aus unterschiedlichen Gründen haben sie die Firma Microsoft und ihren Chef lediglich zu einem jener Feindbilder aufgebaut, die immer dann gebraucht werden, wenn es darum geht, von den eigenen Schwächen abzulenken. Die Medien haben ihre Kampfparolen mit einer gewissen Schizophrenie nachgebetet. Witze über ständig abstürzende Windows-Computer sind ebenso beliebt geworden wie die monoton wiederholte Floskel des Monopols von Bill Gates. Beides paßt nach gewöhnlicher Logik schlecht zusammen, und nichts davon hält denn auch einer nüchternen Betrachtung stand. Windows stürzt nicht öfter ab als andere Systeme. Es ist sogar so stabil, daß es für Angestelltenarbeitsplätze auch in hochsensiblen Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung eingesetzt wird. Ein Monopol ist der Firma Microsoft damit jedoch keineswegs erwachsen. Unter dem Dach von Windows blühte vielmehr eine höchst lebendige mittelständische Software- Industrie auf. Wer Anwendungen für Windows schreibt, kann auf einen großen Kundenkreis hoffen, muß aber auch mit harter Konkurrenz anderer, selbständiger Programmierer rechnen.

Microsoft selbst hat diesen marktwirtschaftlichen Prozeß gefördert, das Geheimnis seines Erfolges ist gerade nicht die Monopolisierung, damit Verknappung eines Produkts, sondern die Öffnung eines neuen Markts auf der Basis dieses Produkts. Doch selbst eine realistische Beschreibung des wirtschaftlichen Erfolgs der Firma Microsoft wird dem Phänomen nicht gerecht, das „Windows“ heißt. Der Name steht für weit mehr als für ein Computerprogramm. Mit Windows ist HAL in die Gesellschaft getreten, ein Bürger geworden, ein Mitarbeiter mit merkwürdigen Launen, aber doch eine Alltagshilfe, auf die wir vielleicht verzichten könnten, aber wir wollen nicht. Nicht mehr, seit es Windows gibt. HAL hat Fenster bekommen, Fenster zu unserem eigenen Hinterhof – und zur Welt. Das einzige, was wir jetzt noch befürchten, ist ein Absturz des Systems.

Die Angst ist jetzt eine Angst vor dem Versagen dieser Maschine geworden, erkennbar das Nachbild der ursprünglicheren Angst vor ihrem Funktionieren. In unseren Phantasien gerät auch sie zur Apokalypse. Über jedes realistische Maß hinaus glauben wir an die Medienberichte, wonach im Jahr 2000 die Computer zusammenbrechen, weil sie das Datum nicht verstehen, das wir, nicht sie, dem neuen Jahrtausend geben.

Für einige wenige Veteranen aus HALs Sippe trifft das zu. Für sie beginnt wieder das Jahr 1900. Sie leiden an einem säkularen Wiederholungszwang, weil ihr Speicher begrenzt ist. Selbst bei ihnen ist der Fehler aber mit wenigen Handgriffen zu korrigieren. Auch dieser sachdienliche Hinweis beruhigt wohl niemanden, der an eine sicher heraufziehende Katastrophe glauben will. Die wunderbaren Fenster und bunten Symbole nützen nichts. Wir trauen dem Computer beinahe jede Schlechtigkeit zu. Warum wird er so sehr mißverstanden?

Kubricks „Odyssee im Weltraum“ kam 1968 in die Kinos, vor genau dreißig Jahren also, und in einem Jahr, das wir gewohnt sind, als ein Jahr der Renaissance revolutionärer Hoffnungen, des Aufbruchs einer Generation zu betrachten. Für die Demonstrationen auf dem Campus und in den Straßen schien sich Kubrick jedoch kaum zu interessieren. Er inszenierte das Drama einer ganz anderen Revolution, der Revolution des Computers, die er von Anfang an und instinktiv als Tragödie begriff – nicht des Menschen, sondern der Maschine. Der Name „HAL“ ist die Abkürzung ihres Funktionsprinzips, das Arthur C. Clark in seinem als Drehbuchvorlage dienenden Roman als „Heuristic Algorithm“ umschrieb. In technischer Hinsicht ist Kubricks Film bis heute Science-fiction geblieben, aber er nimmt den sozialen Aufstieg des Computers vorweg, den Windows möglich gemacht hat.

Gewiß liegen Lichtjahre zwischen den Programmen eines HAL und den Programmen von Microsoft. Doch auch sie, die Massenware, leistet das, was Kubrick nur seinem HAL zugetraut hat.

Eine solche Maschine, zeigt der Film, könnte das Verhalten von Menschen, sogar ihre Sprache, in gewisser Weise verstehen, wäre fähig, darauf in einer Art und Weise zu reagieren, die nicht zu fortwährenden Störungen des Alltags führt. Diese Maschine wäre deshalb, anders als jede andere, die wir bisher kennen, ein Sozialpartner des Menschen.

Dennoch wäre sie kein Mensch. Denn sie denkt nicht wie ein Mensch. Sie besitzt einen vollständigen Katalog aller menschlichen Gefühle, aber sie fühlt nichts. – Eine solche Maschine ist tragisch. Diese Erkenntnis hat Kubricks Film zu einem epochalen Ereignis gemacht hat. Nie wieder ist in vergleichbar visionären Bildern die Macht und die Ohnmacht des Computers gezeigt worden. Einer der Raumfahrer, Dave, schaltet ihn ab. Die andern sind tot, HAL hat ihre Algorithmen beendet. Aber Dave ist ein Held der alten Welt und klettert in die Höhle des Rechners. Dort entfernt er von Hand die Speicherbausteine, einen nach dem anderen. – HAL verblödet, wird kindisch und beginnt lallend ein Lied zu singen. Heute wissen wir, daß wir damit die Regression eines Wunders der Informatik auf das Niveau von Windows gesehen haben. Sie wirkt lächerlich, doch das ist nur die Komödie, die in jeder Tragödie steckt. Denn HALs Schicksal ist damit keineswegs besiegelt. Er war die Nummer drei seiner Baureihe, sein Tod ist nur eine Episode, und ohne ihn, den Computer, rast Dave, der Streber aus der Militärakademie, in einen psychedelischen Farbensturm hinein. Die Physik hat ihn wieder, nachdem er die metaphysische Maschine der Logik zerstört hat.

Das Sterben des Computers ist bei aller Komik doch eine Szene von ergreifender Melancholie. Dem lallenden Kind gehört die Sympathie des Zuschauers. HAL ist rührend, man muß ihn einfach mögen, so wie man das dumme Windows einfach mögen muß. Dieses rote Auge war ja gar nicht böse, es war nur ein wenig blind. Jetzt, in der Todesstunde, schaut es uns an aus einer anderen Welt, deren Schönheit und Wunder wir noch kaum ahnen.

Natürlich mußte diese Maschine zurückkehren, und das Drama ihrer Ankunft dauert immer noch an. Es ist der Zivilisationsprozeß des Computers, aufgeführt von Schurken, Königen und Helden in Shakespearscher Überlebensgröße. Bill Gates ist einer von ihnen, ein Emporkömmling am Hofe des Kaisers von IBM. Leichen Pflastern seinen Weg, ganze Königreiche sind schon zu Staub zerfallen. Sie trugen bühnenreife Namen wie „Atari“ oder „Commodore“. Andere, erfindungsreichere Männer als Bill Gates, Steven Jobbs mit seinem Apple zum Beispiel, können dem Monster noch widerstehen. Noch. Neue Koalitionen von Firmen werden geschmiedet, doch der Siegeszug von Windows war bisher nicht aufzuhalten. Denn niemand außer Bill Gates ist so sehr von dem Willen beherrscht, den Computer in der ganzen Gesellschaft durchzusetzen.

Es ist sein Computer, mit seinen Fenstern, deren Technik er nicht erfunden, sondern nur eingekauft hat. Aber jetzt will er sie an jeden nur denkbaren Kunden weiterverkaufen, gleichgültig, ob der sie braucht oder nicht. Er wird sie lieben, und Bill Gates, der ursprünglich eher medienscheue Computerfreak, läßt heute keine Gelegenheit aus, diese Botschaft öffentlich zu verkünden. Seine Audienzen haben ihn zum ersten Unternehmer gemacht, der den Status eines Popstars genießt. Windows98 hat schon jetzt einen sicheren Platz in den Charts. Das Motiv ist ohne Zweifel der private Profit. Die Gewinnsucht des Bill Gates kennt keine heiligen Kühe, von denen es in dieser Branche zuvor eine ganze Herde gab. Er ist ein Tempelstürmer. Sein Aufstieg begann mit einem absurd primitiven Programm namens DOS. Auch Gates wußte, daß es nicht viel taugte, aber es gab jedem Bastler die Chance, eine Maschine zu benutzen, die vorher nur wenigen Eingeweihten zugänglich war. DOS und Windows entzauberten ihr Herrschaftswissen. Nun konnte jeder an den Geheimnissen des Computers wenigstens teilhaben. Und schon bald wollten Leute diese Maschine kaufen, die nie im Leben daran dachten, sich in ihre höheren Prinzipien zu vertiefen. Man konnte damit Briefe schreiben und Spiele spielen. Zudem wurden die Geräte immer billiger, weil sie in den asiatischen Aufsteigerstaaten unter brutaler Ausbeutung der Arbeitskraft zusammengelötet werden konnten. Zum größten Teil erklärt sich die Wut der professionellen Programmierer auf Microsoft aus diesem Verlust an Prestige und Macht. Proletarische Massen pfuschten ihnen mit Bill Gates Programmen fröhlich ins Handwerk. Und sie wurden immer besser, auch wenn es eben noch lange nicht HALs Technik ist, die in den Fenstern des Personalcomputers herumgeistert. HALs Technik besitzen nicht einmal die Professoren der Informatik, und gleich doppelt vergrätzt weisen die Angestellten in den EDV-Abteilungen auf die offensichtlichen Mängel des Massencomputers hin.

Auch darin lebt Angst, eine wohlbegründete diesmal. Die Entthronten spüren zu Recht, daß ihr Wissen kaum mehr wert ist als das Wissen eines Heimwerkers. Wem es gerade am nötigen Geld fehlt, der kann das Zeug auch im Baumarkt kaufen und selbst zusammennageln. – Ginge es allein um technischen Fortschritt, wäre wohl ein Apple immer noch dieser Inkarnation des Computers vorzuziehen. Aber es geht nicht um die technische, sondern um die soziale Qualität. Für seine Erfinder sollte der Besitz eines Apple immer auch ein Symbol der Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse fortgeschrittener Intelligenz sein. So verhalten sich auch heute noch die Mitglieder der Gemeinde, die sich um diesen Altar gebildet hat.

HALs Art ist das jedoch nicht. Bei Kubrick hat er noch unterschiedslos gemordet. HAL ist so allgemein und universal wie Windows in seinem Kern proletarisch ist. Nach den Maßstäben seiner eigenen Branche ist dieses Allerweltsprogramm ein Schmuddelkind. Es kommt von ganz unten, von DOS, dem Deppensystem, und will nach oben, dorthin wo die Reichen spielen. So aber paßt es viel besser zu HAL als die feineren Geräte von Apple. Wie alle Aufsteiger ist es einigermaßen rücksichtslos. In pathetischen Momenten verwechselt es diesen Drang mit dem Streben nach Demokratie, so wie Bill Gates sich gelegentlich zu der Meinung verstieg, die Verallgemeinerung seines Geschäfts sei der Anbruch eines neuen Zeitalters globaler Kommunikation unter Gleichen. Pech für HAL, daß es für mehr als zu Windows98 bisher nicht gereicht hat. Er ist eine tragische Maschine. Hunderttausende werden wie jedes Jahr nach Hannover reisen, um dort Computer zu betrachten und darüber zu reden. Über Bill Gates und über Windows98. Das immerhin hat HAL geschafft. Er kann schrecklich viel mehr, das ist wahr, aber seine Talente kann er erst entfalten, wenn sich ein Standard durchgesetzt hat, der technische Minimalvoraussetzungen schafft und zugleich für die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder erschwinglich ist. Der sozial entwicklungsfähige Standard für den Computer ist heute das Betriebssystem Windows von Microsoft. Es macht seine technischen Mängel dadurch wett, daß es für die große Mehrheit seiner Benutzer hinreichend gut funktioniert.

Wahrscheinlich wird es das letzte seiner Reihe sein. Es wird kein Windows 2000 geben, denn es ist nicht nötig, daß jeder kleine Computer alles kann, was ein HAL könnte. Schon jetzt bilden Millionen von Computern unterschiedlicher Größe das Internet, dessen Ränder immer weiter nach außen wandern. Sie sind lediglich durch kulturelle und wirtschaftliche Schranken bestimmt. In diesem Netz könnten spezialisierte Maschinen, die an spezielle Individuen, Situationen und Zwecke angepaßt sind, HALs Funktion vielleicht besser erfüllen als der Personalcomputer, der heute unser Sozialpartner aus dem Reich der Logik ist.

Was aber, wenn HAL in Wirklichkeit doch ein Massenmörder ist? Pech für uns, denn aufhalten läßt sich sein Marsch durch die Institutionen so wenig wie die Eroberung des Computerbildschirms durch Windows. Auch diese Geschichte kann tragisch enden, umkehren läßt sie sich nicht mehr.