Immer auf Sendung

■ Wovon Sat.1 träumt, wird in der Verfilmung von Josef Haslingers „Opernball“-Thriller fiktive Fernsehwirklichkeit (So., 20.15 Uhr, Sat.1)

Noch wird getanzt in der Wiener Oper. Aber es ist ein Totentanz. Live auf ETV. „Die einen trinken und tanzen, die anderen hungern und sterben“, sagt eine lächelnde, brillantenbesetzte Dame in die Kamera, gewiß, daß sie wie üblich zu den Tanzenden gehört. Was für ein Irrtum. Schon sieht man auf den Monitoren des Übertragungswagens die feine Gesellschaft röchelnd und kotzend zu Boden sinken. Mehr als 4.000 Menschen fallen einem Giftgasanschlag auf den Wiener Opernball zum Opfer, und ETV bleibt immer auf Sendung. Unter den Getöteten sind der Bundespräsident, der Kanzler und vermutlich auch der Peymann (Claus Peymann), der eben noch ein Interview gab. Auch die fünf Attentäter kommen um.

Der Schweizer Regisseur Urs Egger und Produzent Bernd Eichinger haben Josef Haslingers Polit-Thriller „Opernball“ als zweiteiligen Fernsehfilm für Sat.1 effektvoll inszeniert. 11 Millionen Mark kostete die Produktion, das Ergebkann sich sehen lassen. Haslingers Roman von 1994 dreht die österreichischen Verhältnisse mit Briefbombenattentaten, einer sympathisierenden Polizei, quotengierenden Medien und einer erstarkenden nationalistischen Partei nur ein bißchen weiter: Die Verankerung der Fiktion in der Wirklichkeit trug zum Erfolg des Buches bei.

Wer nun in der Fernsehfassung ein wenig später zuschaltet, könnte ebenfalls glauben, da sei tatsächlich etwas Schreckliches passiert, so echt wirken die Sondersendungen auf ETV, die ratlosen Sprecher der Wiener Polizei, die linken, wütenden Demonstranten im Stadtzentrum. Vor allem aber ein großartiger Heiner Lauterbach als Friedhelm-Brebeck-hafter Fernsehjournalist Kurt Frazer — von Lauterbach weniger gespielt als bis in die Stoppeln des Dreitagebartes hinein verkörpert.

Frazer ist ein abgebrühter Profi, der von sich sagt, er sei „Angestellter eines Unternehmens, das mit Nachrichten Geld verdient“. Doch der Opernball wird auch zur persönlichen Katastrophe des Machers: Frazer verliert dort seinen Sohn, den Kameramann Fred. Deshalb, aber auch aus journalistischer Neugier beginnt er mit eigenen Nachforschungen – unterstützt von der ehrgeizigen Jungjournalistin Gabrielle (Franka Potente), die auf „so eine Chance schon lange gewartet“ hat.

Frazer reist nach Mallorca, wo sich in einer abgelegenen Finca der „Ingenieur“ versteckt: einziger überlebender Attentäter aus der Gruppe der „Volkstreuen“ respektive der „Entschlossenen“. Der „Ingenieur“ (Frank Giering) ist ein verschwitztes, nervöses Bürschelchen, das Frazer pistolenfuchtelnd seine Geschichte aufs Band diktiert. Aus seinen Erzählungen und aus Rückblenden entsteht in Teil 2 („Die Täter“) ein Porträt der Gruppe, das einige Längen hat, aber deshalb interessant ist, weil es nicht der Ideologie auf den Leim geht. Die „Entschlossenen“ werden angeführt von Joe (Tonio Arango), einem als Mormonenprediger getarnten Psychopathen, der „Armageddon!“ ausruft. Sie handeln in einer Mischung aus Abenteuerlust, Stammtischweisheit und religiösem Sektierertum — und nur sehr bedingt aus gehärteten rechtsradikalen Überzeugungen. Als eine Gruppe zackig hitlergrüßender Nazis bei den „Entschlossenen“ aufkreuzt, läßt Joe die Primitivlinge kühl abblitzen. „,Heil Hitler!‘ ist bei uns ein anderes Wort für ,Prost!‘“, sagt er und reicht ihnen ein Bier. Auch das Ausländerzusammenschlagen praktizieren die „Entschlossenen“ in erster Linie als Mutprobe und ritualhafte „Bewährung“. Rechtsradikalismus verharmlosend ist der Film deshalb nicht. Ganz im Gegenteil zeigt er, wie gefährlich die diffuse Mischung aus Ressentiments, Gruppenritualen und Wahnsinn ist, und entwickelt damit vielleicht ein präziseres Verständnis des Extremismus als dröhnende Naziphobie. Jörg Magenau

Teil 2: Mo., 20.15 Uhr, Sat.1