Prêt-à-porter
: Alle bastelen

■ Ein Jahr vor dem Jahr 2000 will niemand mehr retro sein. Plötzlich schneidern alle schräg

Die Schau von Comme des Garçons war diesmal eine arg unterkühlte Angelegenheit, selbst an den Maßstäben von Rei Kawakubo gemessen. Gleichzeitig war es eine Art Chef d'÷uvre ihrer Forschung in Sachen Dekonstruktion „oder wie sagt ihr Deutschen: Bastelen?“ (Margiela 1991 im SZ Magazin). Die Kleider waren teils mit der Innen-, teils mit der Außenseite übereinandergelegt. Die eine Seite etwa ein Trenchcoat mit Schulterriegeln und Kellerfalte im Rücken, die andere Seite zeigte das Futter – ein Innenmantel aus unterschiedlich festen, kratzigen Stoffen, wie man sie zur Verstärkung verwendet und ungefärbtem Nesselstoff. Jede Phase der Verarbeitung war sichtbar.

Was auf den ersten Blick aussah wie übereinandergezogene Schichten, entpuppte sich im Showroom als fest vernäht. Im Gegensatz zu früheren Kollektionen hat man als Träger nicht die Möglichkeit, die Sachen selbst zu variieren oder – bastelnd – zu benutzen. Das machte die Sache ähnlich fragwürdig wie Margielas Kollektion vor einem Jahr, wo Teile eines Kleidungsstücks auf einer Schneiderpuppenkorsage befestigt waren. Ein Designer kann mit seinen Ideen genauso auftrumpfend dominieren wie andere mit ihrem Markenzeichen.

„Manchmal denke ich, ich habe überhaupt keinen Einfluß“, erklärte Rei Kawakubo vor einem Jahr in „Women's Wear Daily“, als die Siebziger Retromode noch in vollem Gange war. In diesem Jahr zeigt sich, daß sie der wichtigste Einfluß überhaupt ist, neben Yamamoto und Miyake. Ein Jahr vor 2000 will niemand mehr retro sein. Plötzlich schneiden alle schräg, setzen um, konstruieren neu. Ohne die Pionierarbeit, die japanische Designer in den letzten 20 Jahren geleistet haben, gäbe es diese neue „moderne“ Mode nicht. Kaum einer, der sich nicht bei ihnen bedient. Martine Sitbon etwa zeigte capeartige Mäntel, die um die Schultern so eng waren, daß die Arme fest an den Körper gepreßt wurden – eine zehn Jahre alte Idee von Kawakubo. Bei Sitbon allerdings wirkte es wie angeklebte Dekoration, vor allem, weil die meisten ihrer Kleider trotz verfremdender Details unnachgiebig funktional waren.

André Walker bat zu seinem Defilee in die Pariser Hauptzentrale der Kommunistischen Partei. Sie wurde in den fünfziger Jahren von Oscar Niemeyer gebaut, dem Architekten von Brasilia. Von außen hat der Bau die Form eines sanft geschwungenen S; innen nehmen Wände aus unverputzem Beton diese Form auf. Der Raum, in dem das Defilee stattfand war rund, Wände und Decke bildeten eine Kuppel. Die langen Tische waren in einem Halbrund angeordnet, die Stühle sehr bequem mit braunem Leder gepolstert, aber ungewöhnlich niedrig. Stand man vorn, sah man fast nur die Köpfe der Sitzenden. Bitte nicken!

Inspiriert von dieser Architektur hatte Walker seine Kleider mit s-förmigen Taschen geschmückt. Knielange Hosen waren an der Seite bis zur Hüfte offen, so daß die befreiten Stoffbahnen hinten wie Frackschwänze zusammenfielen.

Interessant war das Defilee jedoch vor allem wegen eines Vorfalls, bei dem einem Model das Kleid runterrutschte. Es war ein schulterfreies Kleid, das nur von einem Bund über dem Busen gehalten wurde und dann stark angekraust den Körper wie ein Ei umhüllte. An der Seite waren Taschen, in die das Model die Hände gesteckt hatte. Der ganze Saal sah interessiert zu, wie das Kleid immer tiefer rutschte – wann würde sie es festhalten? Nie. Der Designer hatte gesagt: Hände in die Taschen, was immer auch passiert. Und da blieben sie auch, selbst als der Busen endgültig entblößt war. Mit puterrotem Kopf eilte das Model Richtung Ausgang. Die Partei hat immer recht. Auch das ist die Moderne. Anja Seeliger