Prêt-à-porter
: Herrliche Theaterkostüme

■ Sex, Poesie, Romantik und Glamour führen in die Historisierung

„Sex! Poetry! Romance! Glamour!“ — John Galliano eröffnete die Schau für seine eigene Kollektion mit einem leidenschaftlichen Bekenntnis zu allem, was der Mode diesmal fehlt. Und er zeigte es auch. Hautenge lange Kleider, die ab den Knien dramatisch aufsprangen. Prachtvoll dekorierte Roben in der Silhouette der zwanziger Jahre. Nackte Rücken, nackte Beine, nackte Brüste. Anita Berber, Otto Dix und eine bißchen Wiener Werkstätten. Es waren wundervolle Theaterkostüme.

Wenn Sex, Poesie, Romantik und Glamour unweigerlich zur Historisierung führen, was bleibt dann noch? — Rätselhafte Schönheit. Ann Demeulemeester zeigte eine Reihe von Kleidern, deren Schönheit wie zufällig wirkte. Wo kam dieser schwarze Stoffstreifen her, der sich um einen nackten weißen Oberarm legte? Was waren das für Bahnen, die die Models festhielten? Im Showroom zeigte sich, daß viele dieser Kleider einfach aus einem großen Rechteck bestanden, mit vier Armlöchern auf halber Höhe. Es ist eine Art Wickelkleid: Man schlüpft in die ersten zwei Armlöcher hinein wie in einen Mantel, führt den Stoff noch einmal um den Oberkörper herum, die anderen zwei Armlöcher nutzend. Es ist ganz simpel. So kann gefahrlos eine Schulter runterrutschen, man kann nur dreiviertel eines Kleides anziehen und den Rest einfach fallen lassen, daß er hinterherweht. Da die Armlöcher etwa auf halber Höhe sind, bleibt oben eine ganze Menge Stoff übrig, der — an einer Seite offen — einfach fällt und sich selbst drapiert. Immer ein bißchen anders, je nach Stoff.

Manchmal sind Kleider einfach schön, weil man nicht versteht, wie sie gemacht sind. Obwohl es so einfach erscheint. Als hätte jemand mit einer zufälligen Geste einen Effekt herbeigezaubert, der sonst nur durch großen Aufwand entsteht. Der Meister dieser Technik ist Yohji Yamamoto. Im Oktober hatte er erklärt, er habe keine Idee. Er fing praktisch wieder bei Null an. Eine Jacke, ein langer Stoffstreifen: er experimentierte wie ein Kind. Es war noch ein Versuch.

Jetzt hat er's ganz aufgegeben. — Die Stille während seiner Schau war so gespenstisch wie die Kleider. Anzughosen mit Sweatshirtpullovern. Lange Wolljacken: Was immer darunter war, es war nicht zu sehen. Die Models hielten sie mit beiden Händen fest um den Körper geschlungen, als gelte es ihr Leben. Das ging minutenlang so, dann setzte Musik ein, und ein Model erschien in einem Kleid, das am Oberteil korsagenartig verarbeitet war. Der Rock bestand aus einer schrägen Wollbahn, die die Beine zur Hälfte bedeckte. Die andere Hälfte des Rocks war aus gerafftem goldenem Samt, der von unten durch das Oberteil gezogen war und am Ausschnitt wieder herauslugte. Das Kleid war nicht fertig. Das Model hielt den goldenen Stoff am Oberkörper fest. Er schien nicht festgenäht zu sein. Es sah aus wie eins der auf Puppen festgesteckten Drapés in der Stoffabteilung des Kaufhauses. Die Musik brach wieder ab. Es war das absolute Scheitern, in seiner ganzen unerträglichen Peinlichkeit auf die Bühne gebracht.

Und dann der Schluß: Sechs Assistenten halfen dem Model durch die Tür. Sie trug ein so riesiges Krinolinenkleid, daß die Zuschauer in der ersten Reihe praktisch von den Stühlen gefegt wurden. Durch den dünnen weißen T-Shirt-Stoff konnte man die absurde Konstruktion des Gestells erkennen. Als das Model über den Laufsteg schritt, gingen vier Assistenten neben ihr, die auf langen Stöcken einen überdimensionalen Hut über ihrem Kopf balancierten. Letzte Reminiszenz an eine Mode, die sich in ihren Ideen bis heute aus dem Fundus des letzten Jahrhunderts bedient hat. Ein Abschied? Anja Seeliger