Portrait: Stiftakrobat und Chronist der AP0
■ Gerhard Seyfried
„Auf den Bildern 1, 3 und 4 wird dargestellt, wie zur Nachtzeit in einer Stadt namens Entenhausen ein Fahrscheinautomat des dortigen ,EVV' durch das Verkleben von Automatenöffnungen unbrauchbar gemacht werden kann.“ Wohl weil Entenhausen überall ist, schloß ein Staatsanwalt 1975 daraus pfeilschnell, daß es sich beim EVV nur um den Münchner VerkehrsVerbund handeln kann, und klagte den „Grafiker Gerhard Seyfried, zuständig für die im ,Blatt Stadtzeitung für München' erscheinenden Cartoons“ wegen Aufforderung zu Straftaten an.
Seyfried, seit 1977 nach Berlin entschwunden, konnte letztlich die Vaterschaft an der Bildgeschichte nicht nachgewiesen werden: Er hatte vergessen, zu signieren. Wie so vieles, was er als Zeichner ins „Blatt“ und andere Blätter gesetzt hat.
Hätte er neben Signaturen nicht auch ständig vergessen, sein Copyright einzuklagen, wäre er heute als stilbildender „Star des Undergroundcomics“ (Spiegel) wahrscheinlich stinkreich. Doch die Welt meint es oft schlecht mit den besten Comiczeichnern. Auch nach seinem gestrigen 50sten Geburtstag macht er weiter, schon weil er muß: „Let the bad times roll“ heißt das neuste Werk.
„Äußerlichkeit! Äußerste Genauigkeit! Der Sinn für das Unwesentliche! Lebenszeichen!“ – der Kollege F.W. Bernstein wollte in einer Laudatio auf den Max-und- Moritz-Preisträger 1986 am liebsten „vom Seyfried gezeichnet sich in einem seiner Wimmelbilder tummeln dürfen, denn darin ist er einzig: Mengen, Massen von Leuten darzustellen, und zwar viele, viele Einzelleute“. Kunstprofessor Weigle verglich ergänzend die Präzision des „Typenausstatters S.“ mit der eines Landkartenzeichners: „Die Kartographen sind die Gehirnchirurgen unter den Zeichnern.“
Eben deshalb steckt in einem einzigen Seyfried-Bildchen oft mehr als in einem ganzen Streifen pfuschender Comicfließbandwerker. Und deshalb wohl kommen zu seinen Signierstunden so auffallend viele Männer in Grün, um sich Autogramme zu holen.
Kein Stiftakrobat hat die andere Seite der APO-Barrikaden, „die Bullen“, mit so radikalem Witz fertig gemacht, aber keiner hat auch so genau hingesehen. Wenn Archäologen der Zukunft einst nach den Spuren der APO-Zeit fahnden, wird Seyfrieds Werk den Spiegel der Typen, Tussis und Parolen liefern. Mathias Bröckers
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen