Nichts ist richtig

■ Wie eine Ente über eine angebliche jüdische Zwangsscheidung hier Karriere machen konnte

Es war eine Meldung, die wunderbar auf Vermischtes-Seiten deutscher Zeitungen paßte: „Eine vergewaltigte Israelin“, hieß es in der Nachricht des Evangelischen Pressedienstes (epd) vom 2. März, „muß sich nach einer Entscheidung des Oberrabbinats in Tel Aviv von ihrem Ehemann scheiden lassen, obwohl beide Eheleute dies nicht wollen.“ Der Grund: Der Ehemann zähle zur traditionellen jüdischen Priesterkaste, die besonders strengen Gesetzen unterliege. epd weiter: „Die strenggläubige Mutter von neun Kindern war von drei ausländischen Arbeitern bei einem Besuch des traditionellen jüdischen Reinigungsbades vergewaltigt worden.“

Um es gleich zu sagen: An dieser Geschichte, die u.a. von der taz und der Süddeutschen Zeitung gedruckt wurde, ist nichts richtig. Das Oberrabbinat ist nicht für Scheidungen zuständig, das machen Rabbinatsgerichte. Das für den Fall, der sich in dem orthodoxen Tel Aviver Viertel Bnei Brak ereignet haben soll, zuständige Rabbinatsgericht hat nie eine solche Entscheidung gefällt. Die von dem Gericht eingeleitete Recherche, ob es ein einzelner Rabbiner gewesen sein könnte, blieb ebenso ergebnislos wie dessen Suche nach einem ähnlichen Fall in der jüdischen Rechtsgeschichte. Nicht nur die Rabbiner fanden nichts heraus. Journalisten wie Avirama Golan von der linksliberalen Ha'aretz kamen zu dem gleichen Schluß.

Lediglich ein Gerücht über die angebliche Vergewaltigung gab es in Bnei Brak schon lange. Die Geschichte wurde von dem Boulevardblatt Jediot Ahronot schon am 25. Februar veröffentlicht. Es kam darauf zu einer Demonstration vor dem Tel Aviver Rabbinatsgericht, zu der feministische Gruppen aufgerufen hatten. Ein Gerichtssprecher versicherte den DemonstrantInnen, es habe mit einem solchen Fall nichts zu tun.

Die Journalistin Avirama Golan ging daraufhin der Sache nach. Sie kam zu dem Schluß, daß ein seit Monaten, vielleicht seit Jahren kursierendes Gerücht zu einem Selbstläufer geworden ist. Aufgekommen sei es, als ausländische Arbeiter, vor allem aus Rumänien und den Philippinen, nach Bnei Brak gezogen seien. Nach diesem Artikel wandelte sich die Stimmung. Manof, ein Zentrum für Information über das Judentum, protestierte gegen Jediot Ahronot, weil der Artikel „das Ansehen der jüdischen Gesetze beschädigt, ausländische Arbeiter verleumdet und Panik unter den Frauen von Bnei Brak erzeugt“. Die Zeitung nahm den Text zurück, der Reporter schied aus der Redaktion aus.

Warum aber fiel die Geschichte, die ein Boulevardjournalist in die Welt setzte, in Deutschland auf so fruchtbaren Boden? Dazu muß man sich die Details genau anschauen. Als Quelle nannte die Agentur epd, die ihre Nachricht am Sonntag verschickte, „Zeitungsberichte vom Montag“. Dabei hatte sie nur eine Quelle: besagter Jediot Ahronot-Artikel vom Mittwoch. Der Umstand, daß man aus einem Boulevardblatt abgeschrieben hatte, wurde durch das falsche Datum genauso getarnt wie durch den Plural, der andeutete, man habe das journalistische Prinzip eingehalten, nachdem jede Nachricht zwei Quellen haben muß. Und während Jediot Ahronot noch von einem Rabbinatsgericht schrieb, war es beim epd schon das Oberrabbinat, das man in Tel Aviv ansiedelt, obwohl es in Jerusalem sitzt – die Rede vom Oberrabinat verschärfte die Botschaft der Meldung noch: Schließlich ist jenes die höchste Instanz im Judentum.

Auf Nachfragen nach dem Zustandekommen der Meldung reagiert man in der Frankfurter epd- Zentrale zunehmend ungehalten. Immerhin so viel ist zu erfahren: Für epd schreibt aus Tel Aviv ein Hochschullehrer, der nur nebenbei einmal eine Meldung absetzt. Doch der Mann selbst ist nicht zu erreichen. Eine Berichtigung der Agentur ist nicht zu finden.

So verdankt sich die deutsche Karriere der eigenartigen Ente einem typischen Zusammenfall von Unwissen und Vorurteil. Für derart archaisch und unzivilisiert hält man tief im Innern hierzulande das Judentum offenbar immer noch, daß man ihm derlei zutraut. Martin Krauß