Neue Öko-Märchen braucht das Land

■ Zum siebten Mal ist das „Jahrbuch Ökologie“ erschienen. Die Beiträge sind verständlich geschrieben, informativ, realitätstüchtig und enthalten sich des schwarzen Öko-Pessimismus

Das neue „Jahrbuch Ökologie 1998“ kommt zunächst pessimistisch daher. Können Menschen ihr Verhalten für das Überleben ihrer Kinder ändern? Der Politologe Sven Leunig und der Mediziner Jörg Heider verneinen diese Frage entschieden. Allein einige versponnene Idealisten können sich von der Kurzsichtigkeit und dem Egoismus ihrer konsumorientierten Gattungsgenossen lösen. Unglücklicherweise hat sich der Egoismus „im Laufe der biologischen und sozialen Evolution des Menschen herausgebildet“ und kann daher nach Meinung der Autoren nicht mehr abgelegt werden. So kommen sie zu dem Schluß, daß die Menschheit auf absehbare Zeit zwar nicht überleben wird, wir aber so leben sollten, als gäbe es dennoch Hoffnung – frei nach dem Motto „Wir haben keine Chance, doch wir nutzen sie“.

Aber Hoffnungslosigkeit macht nicht die Botschaft des gesamten Jahrbuchs aus. In anderen Beiträgen klingt ein zur Besserung mahnender Realismus an. So hat, dem Theologen Günter Schiwy zufolge, die Vorstellung vom allmächtigen Gott viele Christen vom ökologischen Engagement abgehalten. Gott als „ohnmächtige Kreatur“ zu verstehen ist daher sein Gegenentwurf, um gläubige Menschen zu ökologischer Mitverantwortung zu bewegen.

Auch unsere Märchen vermitteln ökologisch bedenkliche Maximen und Wunschträume, wie Werner Schenkel, Professor am Umweltbundesamt, und die Umweltberaterin Christine Ax schreiben. In „Sterntaler“ verwandeln sich Naturgüter in Gold, Heinzelmännchen und Schlaraffenland versprechen Entlastung von körperlicher Arbeit und angenehmes Leben in materiellem Überfluß, und Aschenputtel wird für ihr protestantisches Arbeitsethos mit Reichtum belohnt. Für die Zeiten zurückgehender Erwerbsarbeit und globaler Umweltschäden wünschen sich Schenkel und Ax neue Märchen, in deren Zentrum Langsamkeit, Lebensfreude oder Mitgefühl stehen. Leider haben sie kein entsprechendes auf Lager.

Auch in der Umweltpolitik, die einen Schwerpunkt des Buches bildet, ist weniger Pessimismus als Realismus, mit einer Prise Idealismus gefragt – selbst wenn Machtverteilungen, Geschäfts- und Tagesordnungen oder protokollarische Formalitäten dem umweltpolitischen Fortschritt oft hinderlich sind. Wie fintenreich das Bundesumweltministerium mit diesen Mitteln von anderen Ressorts blockiert werden kann –, etwa bei der Umsetzung des CO2-Minderungsprogramms, beschreibt die ehemalige Landesumweltministerin Edda Müller. In der Rubrik „Disput“ verteidigt Bundesumweltministerin Merkel jedoch ihre Kompromißbereitschaft gegenüber anderen Ressorts. Auf diese Weise „erreicht man für sich eine kleine Verbesserung“, so die Ministerin, „oder man behält seine Idealvorstellung und schafft gar nichts“ – ein Vorwurf an die Adresse der Umweltverbände. Nichtsdestotrotz wünscht sie sich eine gemeinsame Arbeit von Bundesumweltministerium und Umweltverbänden, um der gut organisierten Lobby der Wirtschaftsinteressen entgegentreten zu können. In der Atompolitik bleibt sie jedoch weiterhin kompromißlos und – so muß man folgern – erreicht dadurch auch nichts.

Auf der Ebene der internationalen Umweltpolitik kommen im neuen Jahrbuch aktuelle Themen zur Sprache, wie der Streit um die Emissionszertifikate auf der Klimakonferenz von Kyoto, die umweltpolitischen Harmonisierungsbemühungen der Welthandelsorganisation WTO, der Erfolg des Ozon-Fonds bei der Finanzierung des FCKW-Ausstiegs der Entwicklungsländer, die stockende Ausarbeitung des globalen Waldschutzabkommens und die zögerliche Umsetzung der Biodiversitäts- Konvention zum Schutz der Artenvielfalt. Diese Beiträge zu den Schwerpunktthemen „Globalisierung der Umweltpolitik“ und „biologische Vielfalt“ sind die große Stärke des Buchs. Hier bekommt die LeserIn aktuelle und fundierte Hintergrundinformationen.

Die Beiträge zur Umweltmedizin und auch die Rubrik „Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen“ halten zwar Interessantes über Zahnmetallallergien, Stoffstrommanagement einer Jeans und den naturnahen Garten bereit, die meisten sind aber wenig tiefschürfend. Dem anfänglichen Pessimismus widersprechend, stehen diese Beispiele dafür, daß Menschen dennoch in der Lage sind, ihr ökologisches Schicksal in die Hand zu nehmen. Die mittlerweile siebte Ausgabe des Jahrbuchs Ökologie zeugt wenigstens von der Hoffnung der Herausgeber, daß die These vom neuen Öko-Pessimismus nicht ganz stimmt. Bernd Siebenhühner

Günter Altner, Barbara Mettler von Meibom, Udo E. Simonis, Ernst U. von Weizsäcker (Hrsg.): „Jahrbuch Ökologie 1998“, C.H. Beck Verlag, München 1997, 288 Seiten, 24 DM