„Jahrhundertwerk“ im Eilverfahren

Berlins Große Koalition halbiert die Hauptstadt: Bezirke, Senat und Abgeordnetenhaus werden zur Ader gelassen. Nach sieben Jahren Streit über den schlanken Staat soll ein Beschluß her – per Dringlichkeitsantrag  ■ Von Dorothee Winden

Berlin (taz) – „Es kann ja wohl nicht sein, daß ein Jahrhundertwerk mit einem Dringlichkeitsantrag ins Parlament eingebracht wird“, beschreibt Renate Künast, grüne Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, die Situation. Sieben Jahre lang hat Große Koalition um das „Jahrhundertwerk“ einer schlankeren Verwaltung gerungen – doch jetzt ist plötzlich Eile geboten. Sage und schreibe 15 Verfassungsänderungen soll das Landesparlament am 26. März beschließen, damit die geplante Halbierung von Parlament, Senat und den 23 Bezirken über die Bühne gehen kann. Ohne den selbstgesetzten Zeitdruck würden die heillos zerstrittenen Koalitionäre wohl immer noch feilschen.

Nächste Woche entscheidet sich aber nicht nur, ob Berlin zum Vorreiter des schlanken Staates wird. Die Große Koalition hat praktisch ihr politisches Überleben von dem Gelingen des Reformwerks abhängig gemacht. Mangels Einigkeit bei anderen Streitfragen wurde die sperrige Frage, ob man aus 23 Bezirken tatsächlich zwölf machen könne, zum Beweis der schwarz- roten Handlungsfähigkeit hochstilisiert. Dabei hängt das Jahrhundertwerk am seidenen Faden. CDU und SPD liegen ganze vier Stimmen über der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit – und einige SPD-Abgeordnete drohen immer noch, dem Projekt die Zustimmung zu versagen.

Die Widerstände kommen nicht von ungefähr. Durch die Zusammenlegung der Bezirke, die in Berlin mit eigenen Kommunalparlamenten ausgestattet sind, entfallen elf Bezirksbürgermeister- und 32 Stadtratsposten. Am stärksten trifft es dabei Bündnisgrüne und PDS, die durch die Neugliederung der Bezirke ihre Hochburgen und jeweils drei Bezirksbürgermeister verlieren werden. Am stärksten profitiert die CDU, die gar keinen Hehl daraus machte, daß sie die neuen Stadtteile zum Nachteil der politischen Gegner schnitt. Sie wird künftig sieben der zwölf Bezirksbürgermeisterinnen stellen.

Aber nicht nur die Bezirke werden zur Ader gelassen. Auch der Senat, Berlins Landesregierung, wird halbiert. 1991 waren die Ressorts auf 16 SenatorInnen verteilt. Ab 1999 sollen acht SenatorInnen plus Regierender Bürgermeister genügen. Zudem soll endlich das Parlament wirksam verkleinert werden. 1992 vertraten noch 241 Abgeordnete die knapp vier Millionen BerlinerInnen. In Zukunft sollen es formell 130 Abgeordnete sein. Überhangmandate werden aber dafür sorgen, daß 186 Parlamentarier im Abgeordnetenhaus Gesetze verabschieden.

Am umstrittensten ist jedoch die Neugliederung der Bezirke. Die letzte Bezirksreform fand in den 20er Jahren statt. Damals wurden Städte wie Charlottenburg oder Neucölln zu Groß-Berlin zusammengelegt. Nun sollen aus den sehr unterschiedlichen Stadtteilen Bezirke werden, die sich wenigstens in der Zahl ihrer EinwohnerInnen ähneln: Je 300.000 Menschen werden in zwölf Berliner Großstädten wohnen.

Animositäten gab es bei den Bezirkshochzeiten reichlich. Der Arbeiterbezirk Wedding (West) etwa wollte nicht mit Prenzlauer Berg (Ost) zusammengehen – angeblich, weil eine Verschärfung der sozialen Probleme zu befürchten sei. Um die Zustimmung der Weddinger Abgeordneten zu erlangen, schlug man den Stadtteil kurzerhand dem Regierungsbezirk aus Mitte und Tiergarten zu. Verlierer sind das ursprünglich als Regierungsbezirk gedachte Kreuzberg und das ebenso arme Friedrichshain, die wohl gemeinsam zum neuen sozialen Brennpunkt der Metropole werden. Zu einem Kuriosum wird die Übergangsregelung führen, die auf Druck der CDU zustande kam: Die Amtszeit der 1995 gewählten Stadträte und Bezirksbürgermeister wird bis 2000 verlängert. Die zwölf neuen Kommunalparlamente werden aber bereits 1999 neu gewählt. Das heißt: Sie müssen zwei oder drei alte Bezirksämter kontrollieren, die noch dazu gar nicht den neuen Mehrheiten der Volksvertretungen im Kiez entsprechen. Konflikte sind vorprogrammiert. Nur CDU und SPD sehen bei dieser einmaligen „Kohabitation“ keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Für die Bezirksverwaltungen wird das Reformprojekt indes zum Kraftakt. Aufgrund der 1994 eingeleiteten Verwaltungsreform befinden sich die Bezirke als dem Bürger am nächsten stehende Verwaltungseinheiten ohnehin schon in einem komplizierten Umstrukturierungsprozeß. Nun purzeln mit der Fusion die gerade gefundenen Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe wieder durcheinander. Obendrein sollen sie zusätzliche Aufgaben von den Senatsverwaltungen übernehmen. Künftig sind die Bezirke für solche Marginalien wie „Hunde- und Katzenfang“ ebenso zuständig wie für die Straßenreinigung und den Bau von Straßen. Während CDU und SPD hoffen, durch die Zusammenlegung der Bezirke 200 Millionen Mark jährlich einsparen zu können, sind die Grünen pessimistisch.

Nur eines steht fest: Die Abstimmung am 26. März wird spannend wie ein Krimi. Wird es der SPD-Parteispitze gelingen, die unzufriedenen Abgeordneten und ihre Kreisvorstände zum Einlenken zu bewegen? Sollte das Reformprojekt auf der Zielgeraden scheitern, stünde die Große Koalition erneut vor einer Zerreißprobe.