Das letzte Signal der PDS?

André Brie tritt als Wahlkampfchef zurück – und kommt ein paar Stunden später wieder. Nichts hat sich geändert: Die PDS ist auf dem Weg zu einer Regionalpartei  ■ Aus Berlin Jens König

Ein Rücktritt sagt mehr als viele Worte, ganz besonders in der Politik, wo erfahrungsgemäß mehr geredet als zurückgetreten wird. Der Rücktritt ist für Politiker das finale Argument: Schluß, aus, vorbei, keiner versteht mich, ich will nicht mehr. Was aber ist mit dem in Mode gekommenen Rücktritt vom Rücktritt? Die Rückkehr des Politischen? Oder nur die konzentrierteste Form von Parteidisziplin? André Brie, der Wahlkampfleiter der PDS, weiß noch, was Parteidisziplin ist, und er hat sich ihr am Wochenende unterworfen.

Am Sonntag mittag trat Brie als Wahlkampfchef der PDS zurück. Ohne Rücksprache mit dem Parteivorsitzenden faxte er eine entsprechende Erklärung an die PDS- Landesverbände im Osten und an das Neue Deutschland. Daraufhin wurde Brie noch am Sonntag abend von Parteichef Lothar Bisky, PDS-Gruppenchef Gregor Gysi und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch ins Gebet genommen. Die „Viererbande“ Gysi, Bisky, Bartsch, Brie, die alle Fäden in der PDS zusammenhält, war sich schnell einig: André Brie macht weiter. Alles andere wäre ein verheerendes Signal im Wahljahr gewesen.

Auslöser für Bries Rücktrittsentscheidung war ein Treffen mit dem PDS- Landesvorstand Thüringen am Freitag. Brie war nach Erfurt gereist, um mit dem dortigen Vorstand die ersten sechs Plätze der Thüringer Landesliste für den Bundestag zu diskutieren; der Listenvorschlag sollte dem Wahlparteitag am 9. Mai präsentiert werden. Brie konnte sich mit dem Vorschlag der Berliner Parteispitze nicht durchsetzen: Dieter Kelp, Pfarrer aus Rheinhausen, landete nicht, wie vorgesehen, auf dem sicheren Listenplatz vier, sondern auf Platz sechs.

Dieter Kelp ist einer der wenigen Intellektuellen aus dem Westen, die für die PDS in den Bundestag ziehen wollen und die die Partei für ihr selbstgebasteltes Image als bundesweite sozialistische Partei so dringend benötigt. Für Brie brachte Kelps vorläufiges Scheitern das Faß zum Überlaufen. „In einer Situation, in der eine große gemeinsame Energieleistung der gesamten Partei erforderlich wäre“, erklärte er, „setzten sich persönlich, regionale und Gruppeninteressen durch.“

Gregor Gysi konnte Bries Verärgerung „sehr gut nachvollziehen“, auch ihn störe die mangelnde Bereitschaft in der Partei, bundesweite Signale zu setzen, die man braucht, um bei der Bundestagswahl die Fünfprozenthürde zu überspringen. Bries Rücktritt hielt er aber für „überzogen“. Brie sah das dann ein und verständigte sich mit Kelp: Die Berliner Parteispitze wird gemeinsam mit dem Pfarrer auf dem Wahlparteitag um Platz vier der Landesliste kämpfen.

Eine Kampfkandidatur – und schon wird alles wieder gut?

André Brie zweifelt selbst viel zu sehr an den Fähigkeiten der PDS, eine moderne linke Partei zu werden, um das zu glauben. Für ihn sind die Probleme nach wie vor ungelöst. Die Partei ist überaltert, ihr sterben die Mitglieder weg. Grabenkämpfe mit alten Kadern im Osten und mit versprengen Linksradikalen im Westen lähmen das Alltagsgeschäft. In fast allen Landesverbänden nimmt die Neigung zu, sich den Vorschlägen und manchmal auch Befehlen aus der Parteizentrale zu widersetzen. Beim PDS-Landesparteitag in Schwerin am Wochenende wurden „Berliner“ Kandidaturen für die Landesliste zwiespältig aufgenommen. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der für Mecklenburg- Vorpommern in den Bundestag möchte, dürfte nicht ernsthaft gefährdet sein. Die Kandidatur von Angela Marquardt, die als angebliche Punkerin noch immer für das junge Image der PDS herhalten muß, ist aber keineswegs sicher.

Für Dietmar Bartsch steckt dahinter das strategische Problem der PDS: „Schmoren wir im eigenen Saft, oder bleiben wir für andere Linke offen?“ Die Antwort, so Bartsch gegenüber der taz, sei nicht nur für das angestrebte Ziel von fünf Prozent bei der Bundestagswahl wichtig. Sie würde vor allem über den zukünftigen Charakter der Partei entscheiden. Jetzt rächt sich, das wissen die Reformer um Brie und Bartsch, daß ihre Idee der PDS als gesamtdeutsche linke Oppositionspartei eine Kopfgeburt geblieben ist. Viel zu lange haben sie die Partei als Gemischtwarenladen treiben lassen – aus guten Gründen und aus Angst vor harten Auseinandersetzungen. Jetzt läuft die PDS Gefahr, zu einer ostdeutschen Regionalpartei zu werden, die bundespolitisch kaum Einfluß hätte. Die Reformer schmerzt, wie wenig die PDS die unruhig gewordenen gesellschaftlichen Verhältnisse für sich nutzen kann.

Schröder als Kanzlerkandidat der SPD, meint der PDS-Geschäftsführer, läßt links eine Lücke, die die Partei nutzen muß. Schafft sie das nicht, dann scheitert sie an der Fünfprozenthürde, vielleicht schafft sie es nicht einmal über Direktmandate in den Bundestag. „Erreichen wir dieses Ziel nicht“, davon ist Bartsch überzeugt, „wird bundespolitisch am 28. September bis auf weiteres letztmalig von uns zu hören sein.“