Kader und Märchenonkel

■ Peter-Jürgen Boock, RAF-Gefangener und Aussteiger, ist frei

Berlin (taz) – „Seine Geschichte“, schrieben im Oktober 1988 zehn inhaftierte Ex-Genossen aus der RAF in konkret über Peter-Jürgen Boock, „ist ein hochgebauter Dom auf verlogenen Stelzen.“ Bis das Gebäude zusammenbrach, sollte es noch weitere vier Jahre dauern. Peter-Jürgen Boock, der Heimzögling, der Zuneigung und Solidarität erstmals Ende der sechziger Jahre von den Sozialarbeitern Andreas Baader und Gudrun Ensslin erfahren hatte, hatte vor Gericht und später im Knast das Recht eines jeden Angeklagten in Anspruch genommen: Er hatte getäuscht, verschwiegen und gelogen, sich als Mitläufer der RAF kleingemacht. Tatsächlich gehörte er zu den führenden Kadern. An der brutalen Entführungsaktion Schleyers in Köln mit der Ermordung der vier Begleiter des Arbeitgeberpräsidenten war er persönlich beteiligt.

Das Oberlandesgericht Stuttgart glaubte dem „begnadeten Märchenerzähler“ (eine frühere Genossin) nicht und verurteilte Boock 1984 und 1986 jeweils zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Als Boock 1992, nachdem in der DDR festgenommene RAF-Aussteiger seine wahre Rolle in der RAF offenbart hatten, mit seiner „Lebensbeichte“ reinen Tisch machte, blieb mancher Unterstützer, der über das Urteil empört gewesen war, konsterniert zurück. Und Richard von Weizsäcker nahm nie wieder einen Anlauf, den Delinquenten zu begnadigen, der zuvor ganz oben auf der Liste gestanden hatte.

Über die Enttäuschung geriet Boocks tatsächliche Leistung in Vergessenheit: Er trennte sich von der RAF und forderte sie nach seiner Festnahme in Hamburg Anfang 1981 zur Aufgabe auf. Zu einer Zeit, als dies in der radikalen Linken noch als Verrat galt. Und er nannte nie Namen von Mittätern. Das nutzte denen zwar wenig, weil auch Bundesanwälte zwei und zwei zusammenzählen können. Boock begab sich so zwischen alle Stühle. Dort, so ist zu vermuten, wird er auch nach seiner Entlassung nach über siebzehn Jahren Haft bleiben. Gerd Rosenkranz