Widerspruch vor der Zeit des Abgesangs

2.000 Anschläge: McKinsey und Folgen / Was war? Was ist? Was kommt? In einer Replik auf den taz-Kommentar zur Kulturreform vom 11. März zieht unser Gastautor Bilanz und sagt, wie es weitergehen muß  ■ Von Klaus Pierwoß

Die vehemente Debatte über das Bremer Kulturleben droht von der Lust an öffentlichen Kontroversen in den Frust an leerlaufenden Ritualen und an der verwirrenden Undurchsichtigkeit in den Ergebnissen umzuschlagen. Der Bericht von Christoph Köster in der taz vom 11. März 1998 über die zweite Rathaus-Veranstaltung von ANSTOSS ist ein Indiz dafür. Doch dieser resignative Abgesang kommt zu früh, ihm muß heftig widersprochen werden. Deshalb einige Anmerkungen zur Positionsklärung im Konflikt.

1. Im Bereich der Kultur ist es gelungen, das McKinsey-Gutachten durch alternative Stellungnahmen von Experten zu konterkarieren; Stellungnahmen, die die Politik finanziert hat, ohne sie zu lenken – ein Vorgang von beträchtlicher demokratischer Qualität, der in seiner Ungewöhnlichkeit hervorgehoben werden muß.

2. Die Neuordnung des Bremer Kulturlebens ist als üblicher Entscheidungsvorgang zwischen Exekutive und Legislative durch eine große öffentliche Debatte angereichert und umgestaltet worden. Die Betroffenen aus Kunst und Kultur haben sich öffentlichkeitswirksam in ihre eigenen Angelegenheiten eingemischt und somit für die politische Administration eine neue Situation geschaffen. Auch das ist in Bremen so ungewöhnlich wie anderswo.

Der Konflikt um die Neuordnung des Bremer Kulturlebens ist bei der Modifizierung der ursprünglichen Modellvorstellungen angelangt, ist also in eine kompromißhafte Phase getreten, wo das Pro und Contra eines demokratisch geführten Veränderungsprozesses nicht mehr einfach auszumachen ist: Der Kompromiß verschleift die Konfliktpositionen der Kontrahenten: Wie viel oder wie wenig wurde erreicht? Ist das Glas halb voll oder halb leer? Müßig, das bisher erreichte Zwischenergebnis zu bewerten. Jede Partei versucht, so viel wie möglich von den eigenen Vorstellungen durchzubringen; es bleibt zu hoffen, daß das Endergebnis kein Zwitter wird und der letzt-endlich erzielte Kompromiß kein fauler.

Zur Verdeutlichung einer drohenden Unübersichtlichkeit hier noch einmal die Ausgangsposition: McKinsey sollte durch Effizienzsteigerungen und Optimierungspotentiale die Subventionsbedürfnisse so reduzieren, daß ab 2001 die gesenkten Eckwerte des Kulturhaushalts auch ohne die Übergangsfinanzierung ausreichen; strukturelle Neuordnungen standen von Beginn an unter dem Gebot einer derartigen ökonomischen Instrumentalisierung. Doch auch unter dieser Maßgabe muß eine „Modernisierung“in der Kulturverwaltung selbst, im Verhältnis zwischen Kulturverwaltung und Kulturschaffenden und in den Kulturinstitutionen nicht von vornherein falsch sein. Und doch: Der „Terror der Ökonomie“dominiert – offensichtlich oder hinter vorgehaltener Hand – die Diskussion über neue Strukturen. Es droht der noch nicht aus dem Sack geholte Knüppel: Effizienz ist eure einzige Chance, es gibt weniger Geld.

Was vom Neuen ist begrüßenswert, was vom Alten erhaltenswert? In der wenig spektakulären Phase des Zweitakts von Vorschlägen der Verwaltung und Gegenvorschlägen der Kulturszene droht die Unübersichtlichkeit, Detailfragen drohen das große Ganze einzunebeln. Der Prozeß von Kontroversen und Konsensfindung mit der Aufgabe und Annäherung von Positionen bringt zwangsläufig das Einmünden in eine Lösung mit sich. Die Verwaltung hat nach der ersten Rathaus-Diskussion einen Modifizierungsvorschlag vorgelegt. Bereits zweimal haben ANSTOSS, Kulturrat und Kulturpolitische Gesellschaft mit Gegenentwürfen darauf reagiert. Sinnvoll wäre jetzt eine Auflösung der Begleit- und Steuerungsgruppe von McKinsey und die Fortsetzung ihrer Arbeit durch einen Arbeitskreis aus Verwaltung und Kulturschaffenden zur Entwicklung eines endgültigen Vorschlags. Für diese detailgenaue Weiterarbeit sind die öffentlichen Foren nicht mehr die adäquate Form. Allerdings ist unverzichtbar, daß bis Ende des Kalenderjahres Zeit gegeben wird. Alles, was korsetthaft den Kultur- und Kunstschaffenden übergestülpt wird, wird mit Sprengkraft auf die politischen Entscheidungsträger zurückschlagen.

Die Kunst- und Kulturinstitutionen wollen weniger Administration, größtmögliche, aber politisch verantwortete Autonomie, Planungssicherheit und eine Erhöhung des Kulturhaushalts – alle Vorschläge sind daran zu messen, inwieweit sie in diesem Sinne Verbesserung und Veränderung bewirken. Alle Aktivitäten dürfen sich nicht mehr in der bloßen McKinsey-Abwehr erschöpfen, sondern brauchen Zeit und Raum für positive Setzungen.

Daß die Auseinsetzungen Züge einer „bürgerlichen Konversati-onsweise“annehmen und nicht mehr viel für spektakuläres Mediengetöse abwerfen, spricht nicht gegen den Austausch von Argumenten. Daß Lob und Anerkennung von außen – sei es durch die alternativen Experten (von Christoph Köster als „bestellte Lobhudelei“disqualifiziert) oder durch überregionale Kritiker – in Bremen wenig gelitten sind, sowohl bei den Politikern wie auch bei den lokalen Kritikern (die auf diese Weise eine unheilige Allianz bilden), macht einen nicht geringen Teil unserer Durchsetzungsschwierigkeiten aus. Die Erfahrung der zurückgetretenen Kölner Kulturdezernentin Kathinka Dittrich läßt sich auch von Bremen aus erhärten: Geglaubt wird vieles nur, wenn es von Dritten gesagt wird.

Den politischen Entscheidungsträgern dieser Stadt und ihren Marketing-Strategen fehlt es an Glauben an und Bekenntnis zu den bremischen Kulturinstitutionen. Sie setzen stärker auf die Ökonomie der Tourismus-Kultur, auf das, was absurderweise die Austauschbarkeit und nicht das Spezifische der Städte ausmacht, und dürfen sich in einer Ansammlung von Pannen und Pleiten (Scorpions-Konzert in Bremerhaven, Justus Frantz auf der Galopprennbahn, Shakespeare and Rock'n'Roll, Hopper- und Peter-der-Große-Ausstellung, Zauberflöte in der Stadthalle) in einer MkKinsey-freien Zone der ökonomischen Fehlschläge bewegen. Aber die höhere Effizienz und die bessere Ökonomie in dieser Stadt sind nun einmal der Reichtum ihrer Kunst- und Kulturinstitutionen.

Entscheidend für Bremen ist, was den hiesigen politischen Entscheidungsträgern die Kunst und Kultur der Stadt wert ist: in den Eckwerten des Kulturhaushalts. Insofern sind alle Abwehrkämpfe gegen und Modifizierungen von MkKinsey nur Vorgeplänkel zu einer weiteren unvermeidlichen Diskussion über Kultur und Geld: Auch im neuen Jahrtausend kommt das immaterielle Leben einer Stadt nicht ohne materielle Basis aus.

Aber bis dahin: Neues mischt sich mit Altem, die neue Qualität dieser Gemengelage ist noch nicht auszumachen, der Diskussions- und Klärungsprozeß muß weitergehen, wenn auch ohne spektakuläre Begleitmusik.

Klaus Pierwoß ist hauptamtlich Intendant des Bremer Theaters und zeichnet hier als Sprecher der Kulturinitiative ANSTOSS