Die Lola-Revolution

Warum man in Bayerns Hauptstadt nicht für die Freiheit, sondern gegen eine schlagkräftige Frau und Königsmätresse auf die Barrikaden geht  ■ Aus München Andrea Böhm

München, 18. März 1848 (taz) – Vielleicht sollte man jenen neunten Oktober vor zwei Jahren aus der Erinnerung löschen – der Tag, an dem sie in die Stadt kam und von der Presse als die „durch ihre Kraftäußerungen bekannte spanische Tänzerin“ eingeführt wurde. Aber Vergangenes kann man nicht ungeschehen machen. Also stehen die Münchener vor der undankbaren Aufgabe, in diesen Tagen, wo andernorts auf Barrikaden für die Freiheit gekämpft wird, zu erklären, ob sie noch ganz bei Trost sind.

Nicht, daß es hier in den letzten Wochen friedlich zugegangen wäre. „In München sind die Studenten, Maler und Arbeiter in voller Insurrektion“, hat Friedrich Engels begeistert an Karl Marx nach Paris gemeldet. Wahrscheinlich wäre er nicht ganz so euphorisch gewesen, hätte er gewußt, daß die Leute gegen die spanische Tänzerin rebellieren – nicht gegen die Monarchie.

Der bayerische König Ludwig I. war eigentlich nicht der schlechteste. Bis vor zwei Jahren Lola Montez auftauchte, die in Wahrheit Eliza Gilbert heißt, nicht aus Spanien, sondern aus Irland stammt, keine Aristokratin, sondern eine leidlich begabte und ungemein fesche Tänzerin mit einer ganzen Reihe von hitzigen Männerbekannschaften ist. Als seriöse Zeitung äußern wir uns nicht weiter zu Gerüchten, sie habe bei ihrer ersten Audienz ihren Busen entblößt. Jedenfalls meldete der preußische Gesandte am bayerischen Hof sofort nach Berlin, die Amtsgeschäfte Ludwigs litten erheblich, da derselbe „den größten Teil seiner Zeit durch das ihn fesselnde Verhältnis absorbirt ist, während des übrigen Theiles aber moralisch und physisch erschöpft ist“.

Das kann passieren, wenn sich ein 61jähriger mit einer 27jährigen einläßt. Es ist keinesfalls das außereheliche Verhältnis an sich, an dem das Volk Anstoß nimmt. Fräulein Montez ist die 50. Liebhaberin des Bayernkönigs, der darüber exakt Buch zu führen pflegt. Es ist vielmehr der Umstand, daß ihn der Liebestaumel zum Despoten macht.

Nehmen wir den Fall des armen Postbeamten, von dem die Montez einen Brief zurückverlangte, den sie bereits aufgegeben hatte. Der gute Mann verwies auf die Vorschriften, die ihm solches verbieten. Als nächstes spürte er eine Watschn im Gesicht sowie den zierlichen Stiefel der Montez in seinem „Brotkorb“, wie sie die empfindlichsten Teile des Mannes zu nennen pflegt. Der Mann klagte vor Gericht – und der König drohte dem Polizeidirektor mit der Entlassung, falls seine Lola nicht in Ruhe gelassen werde.

Weniger glimpflich kamen die Gäste eines Wirtshauses davon, mit denen die Montez eine Prügelei anzettelte. Der König selbst zog die Untersuchung an sich, verurteilte seine Geliebte zu einem Tag Hausarrest und die Geprügelten zu einer Woche Gefängnis. Geschäftsleuten, bei denen sie ihre Rechnungen nicht bezahlen wollte, erteilte Seine Majestät einen Maulkorb.

Behalt du deine Stola und ich meine Lola

Zugegeben: Wem das bayerische Pfaffentum und die Papsttreuen Minister zuwider waren, der hat anfangs über die neue Unordnung am Hof geschmunzelt. Ein erzkonservatives Kabinett trat letztes Jahr ab, weil es der Tänzerin nicht den begehrten Adelstitel verleihen wollte. Einen protestantischen Minister ernannte Ludwig auf ihr Drängen hin, worauf so manchem Katholiken die Hand im Weihwasser erstarrte. Und dem Erzbischof, der ihm die Montez ausreden wollte, beschied er: „Behalt du deine Stola und ich meine Lola.“

Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß man sich von der Stola sehr viel leichter als von der Lola trennen kann. Der Komponist Franz Liszt, der zuvor eine Beziehung zur Montez pflegte, entschloß sich zu diesem Schritt, nachdem sie während eines Handgemenges bei einem Abendessen im August 1845 auf den Eßtisch sprang. Liszt stahl sich kurz darauf aus dem gemeinsamen Hotelzimmer, schloß die Tür ab und hinterließ bei der Rezeption genügend Geld für den Schaden, den Lola in einem zwölfstündigen Wutanfall am Mobiliar verursachte.

Aber der Bayernkönig hat bis heute nicht daran gedacht, sich von ihr zu trennen – obwohl sich die Lage dramatisch zuspitzt. Vor allem an der Universität kocht die Wut gegen die Montez und ihren ergebenen König. Mehrere Professoren der Landesuniversität wurden bereits geschaßt, weil sie Kritik an seiner Lola gewagt hatten. Am 9. Februar wollte Ludwig I. die Universität gleich für ein Jahr schließen lassen und alle auswärtigen Studenten der Stadt verweisen. Den darauffolgenden Aufruhr konnte nur der Rektor in Grenzen halten. Der königliche Erlaß war schnell vom Tisch. Die Montez reiste fürs erste in die Schweiz, während ihr König Volkes Zorn mit liberalen Zugeständnissen zu besänftigen versuchte: Vor knapp zwei Wochen hat er Pressefreiheit, Schwurgerichte, Aufhebung der Zensur und mehr zusichern lassen.

Doch am 8. März kehrte sie heimlich zurück. Des Königs Bruder Karl konnte eine aufgebrachte Bürgermiliz nur in letzter Minute davon abhalten, die Residenz anzuzünden. Seit zehn Tagen nun schwirren Gerüchte über den möglichen Aufenthaltsort der Montez durch die Straßen. Immer wieder bilden sich Menschenmassen auf der Suche nach der „Konkubine“, schmeißen Steine und schimpfen auf den „Hurenhengst“ Ludwig, der wie ein sturer Bock schwört, daß ihn nichts auf der Welt von seiner Lola trennen werde. Womöglich wird er sich nun von seinem Thron trennen müssen, denn der Münchener Freiheitskampf gegen Lola ist nicht mehr zu bremsen.