Mit fünf Talern sind Sie dabei

■ Ende der Langeweile auf dem Zeitungsmarkt: Viele Blätter treten gegen die „reactionäre Mistpfütze“ an – doch seine Meinung zu sagen kostet

Berlin, 18. März 1848 (taz) – Man sieht die Welt vor lauter Blättern nicht mehr. Ob in Baden oder Berlin – überall in Deutschland ist das Zeitungsfieber ausgebrochen. Vorbei sind die Zeiten, da die Königlich privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen – kurz „Vossische Zeitung“ oder „Tante Voß“ genannt – den Anzeigenmarkt komplett monopolisierte. „Mistpfütze aller reactionären Adressen und Annoncen“, schimpft man sie. Ein „Gevatterschaftsbündnis mit der Reaktion“ wirft man ihr vor.

Aber inzwischen gibt es zum Beispiel die Berliner Zeitungshalle des Herausgebers Gustav Julius: Chronisch vom Konkurs bedroht, aber radikaldemokratisch. Mit ihren mittlerweile 4.000 Exemplaren reicht sie an die 24.000 der „Tante Voß“ längst nicht heran. Aber dafür bietet Julius den werten Lesern nicht allein eine Zeitung, sondern auch ein Restaurant und Lesekabinett gleichen Namens in der Berliner Oberwallstraße. Das „Wespennest“ nennen es die antidemokratischen Kräfte.

Hier werden jeden Tag die neuesten Nachrichten, Börsenkurse, telegraphischen Depeschen laut vorgelesen, hier wird über Volkssouveränität, Demokratie und das Rauchverbot debattiert. Ein paar hundert andere Zeitungen liegen zur Lektüre aus, die über die revolutionären Ereignisse in Wien, in Venedig oder Paris berichten. Satirische Blätter wie der Berliner Krakehler, oder Kladderadatsch sind hier zu haben – oder auch Der Ohnehose.

Wer will, kann seine Meinung in einer Erklärung oder in einem Leserbrief drucken lassen – vorausgesetzt, er kann auch dafür bezahlen. Um die fünf Taler kostet es beispielsweise in Julius' Etablissement, seine eigene Meinung gedruckt zu sehen. Auf den Straßen wiederum wimmelt es von Flugblättern und öffentlichen Anschlägen. Das ist derzeit die Presse des gemeinen Volkes, das nicht in die Zeitungshallen geht.

Hier kann sich wahrlich jeder ausbreiten, Forderungen aufstellen, schimpfen, die Revolution herbei- oder niederreden. Meist versammelt sich sofort eine Menschenmenge vor einem neuen Anschlag und beginnt zu debattieren, während die „fliegenden Buchhändler“, meist kleine Jungen, weitere Exemplare der Flugschriften unters Volk bringen. Es ist nicht immer ratsam, gegen die Mehrheitsmeinung anzureden, weil die Diskussion auf der Straße – anders als in der Zeitungshalle – doch handgreiflich werden kann.

Jedenfalls braucht man keine fünf Taler, um seiner Meinung Gehör zu verschaffen. Andrea Böhm