Meine dünnen Ossi-Lippen

■ Zwei neue Bücher über Neue Mädchen: „Frederikes Tag“von Cornelia Kurth (ehemals taz Bremen) und „Nie wieder Schule“von Uli Lehnhof (Bremen)

Vielleicht ist der Vorrat an Textanfängen nicht unbegrenzt. Vielleicht müssen Bücher über pubertierende Mädchen so beginnen: Heute morgen wachte ich von einem ekelhaften Geräusch auf. Ein Brummen mit verschwommenen Melodiefetzen. „Scheiße, wie spät ist es? Ich wünschte, ich wäre tot!“Oder so: Piep, piep, piep – piep, piep, piep machte der Wecker (...) Ich bekam meine Augen nur mit Mühe weiter auf, denn ich hatte erst kurz vor Mitternacht meinen Walkman ausgeschaltet. Jetzt mußte es etwa Viertel nach sieben sein, und ich war völlig tot.

Version I leitet „Frederikes Tag“ein, eine wütende, depressive, kratzige Ich-Erzählung über 24 Stunden im Leben einer 15jährigen. Das Mädchen macht sich das ohnehin nicht leichte Leben altersangemessen so schwer wie möglich, verkracht sich pausenlos mit der ganzen Welt, muß sich nebenher mit Haut- und Figurproblemen plagen, die familiären Verhältnisse sind auch nicht mehr, was sie mal waren, und die Schule ist ein Horror. Gewalterfahrungen sind alltäglich – allerdings kann auch Frederike ganz schön austeilen, ja ist alles in allem eins dieser Neuen Mädchen, über die unsere Magazine so viel Erschreckendes schreiben.

Version II leitet „Nie wieder Schule“ein, ein Buch, das die ganz ähnliche Konfliktlage der 14jährigen Karo ganz anders beschreibt. Auch hier ist die Familie keine mehr; die Schule ist zum Schwänzen da; der Körper ist eine schlecht sitzende Hülle; und mit justiziablen Begebenheiten muß sich auch Karo befassen.

Doch die Journalistin und Autorin von Version I Cornelia Kurth versetzt sich in ihrem Buch (für das sie das Bremer Autorenstipendium erhielt) mit Haut und Haaren in ihre gebeutelte Frederike hinein und skizziert völlig subjektiv die Welt eines End-90er-Metropolen-Girls zwischen Haudrauf und Liebessehnen. Dagegen der Lehrer, Rockmusiker und Rundfunkmitarbeiter Uli Lehnhof: Er legt sein Buch schwer didaktisch an. Alle zwei Seiten ist Perspektivwechsel: Karo, ihre Mutter, die Lehrerin, die Freundin sowie der Schulermittlungsdienst-Beamte kommen gleichberechtigt zu Wort und dürfen ihre Sicht der Dinge um Karo ausbreiten.

Wer über Pubertät schreibt, schreibt über Moral. Beide Bücher handeln – auf sehr unterschiedliche Weise – von Moral. Uli Lehnhofs im Patmos-Verlag erschienenes Buch läßt keinen Zweifel darüber entstehen, wie ein vorzeigbares Leben auszusehen hat. Nämlich wie das von Freundin Dani, die daheim in festen Händen ist, gut in der Schule und langweilig. „Nie wieder Schule“versucht, Karos Schulversagerwelt auf tolerante und interessierte Weise, jedenfalls von außen zu erklären. Tenor: Nicht das Kind ist schlecht, sondern eine Welt ohne Liebe und Zuwendung. Doch man kann was machen.

Bei der rotzigen Frederike liegt der Fall komplizierter: Der Leser von „Frederikes Tag“(Eichborn) lernt ausschließlich ihre – recht vorläufige – Moralauffassung kennen, die noch nicht in politisch korrekte Konsense eingepaßt wurde. Frederike macht sich keinen Kopf darüber, ob man „dreckiges Türkenweib“sagt, wenn es sich um eine Feindin handelt. Frederike haßt mit Leidenschaft – die Ersatzmutter mit ihrem Moralisieren, einen Jungen, der sie in einem schwachen Augenblick küßte, sie haßt sich selbst („Ich sehe Scheiße aus ... diese ekelhaft dünnen Ossi-Lippen“). Sie spielt auch mal mit dem Gedanken, Skinhead zu werden. Das vor allem: Sie spielt mit Gedanken. Dabei greift sie notfalls auch auf den guten alten Gott zurück, der ihr helfen soll, ihre Feinde zu vernichten („Lieber Gott, mach, daß irgend jemand Emine heute den Schädel einschlägt.“)

Uli Lehnhof muß sechs verschiedene Menschen mit einer Persönlichkeit ausstatten. Das gelingt ihm nicht. Der Leser hat Schwierigkeiten, zu unterscheiden, wer gerade über Karo nachdenkt. Immerhin hat das Buch ein Happy end: Karo küßt einen Jungen, hat sich in der Schule gefangen und auch noch durch Verpfeifen von anderen Schülern eine Einbruchserie aufgeklärt und 500 Mark Belohnung eingestrichen.

Die 24 Stunden Frederikes dagegen enden, wie sie angefangen haben (und wie es auch nach der Erinnerung eines älteren Lesers meist zuging, damals): Ein außergewöhnliches, die Welt veränderndes Ereignis (hier: der angebliche Selbstmord eines Klassenkameraden) findet nicht statt. Das Leben bleibt langweilig und zum Kotzen. Und vermutlich steckt wieder der Eine dahinter: „Mein Gott, strafst du mich etwa zu Recht?“ BuS

Cornelia Kurth, Frederikes Tag, Eichborn, 1998, 120 Seiten, 28 Mark

Uli Lehnhof, Nie wieder Schule, Patmos, 1997, 143 Seiten, 24,80 Mark