Das nahende Ende der Pflegeromantik

■ Schon heute stecken die Pflegeheime in der Kostenfalle. Wenn die Pflegestandards noch weiter gesenkt werden – wie es die Bundesregierung beabsichtigt –, befürchten Kritiker „Billigpflege“

„Welche Tabletten sind denn für Sie?“ Der junge Mann im weißen Kittel, der Frau Hambeck mit einem Becherchen voll Medizin vor der Nase herumfuchtelte, kannte sich offensichtlich nicht sonderlich gut aus. Er gehörte zur Riege der Leasingkräfte, die das Altenheim „Heimstatt Jungfernheide“ seit der Überführung in die private Trägerschaft häufig anheuern mußte. Dies wird sich auch in Zukunft kaum ändern.

Zwar verschob die Bundesregierung gestern die Entscheidung über die Senkung des Mindeststandards in den Heimen nach der Kritik der Wohlfahrtsverbände auf den 1. April. Dennoch ist der Vorschlag noch nicht vom Tisch, eine Bestimmung des Heimpflegegesetzes als nichtig zu erklären, nach der bis Mitte dieses Jahres die Hälfte aller Pflegekräfte in den Heimen examiniert sein müssen.

Seit der Einführung der Pflegeversicherung hat sich der Konkurrenzkampf der Pflegeheime verstärkt. Dreißig ehemals bezirkseigene Heime wurden in private Trägerschaft überführt. Sie müssen nun ohne bezirkliche Subventionen auskommen, schwarze Zahlen schreiben. Kosteneinsparungen und Umstrukturierung waren vonnöten. In der „Heimstatt Jungfernheide“ wurden zum Beispiel die Küchenhilfen abgeschafft. Die Folge: Die PflegerInnen müssen sich nun auch mit Geschirr und Essenverteilen befassen. Kostbare Zeit geht verloren. Das ist gravierend, wenn man bedenkt, daß die Zahl der Schwerstpflegefälle gestiegen ist. Seit Einführung der Pflegeversicherung werden alte Menschen nun so lange wie möglich zu Hause ambulant versorgt. In die Heime kommen nur noch diejenigen, die intensiver Pflege bedürfen. Im Gegenzug wurde das Personal jedoch nicht aufgestockt. Die körperliche und physische Belastung der PflegerInnen ist hoch, die Motivation gering. Die Zahl an Krankmeldungen steigt. Um diesen Ausfall auszugleichen, wird auf Leasingkräfte privater Firmen zurückgegriffen. Sie sind mit den Bewohnern und deren Bedürfnissen meist wenig vertraut. Adäquate Versorgung ist kaum noch gewährleistet. Im psychosozialen Bereich ohnehin nicht, denn die PflegerInnen haben kaum Zeit, sich mit den Bewohnern zu unterhalten, geschweige denn mit ihnen spazierenzugehen. Gesonderte Stellen für diese Aufgaben sind aus Kostengründen nicht vorgesehen. Zivis, die sich um diese Belange kümmern könnten, sind ihrerseits mit der Grundversorgung der Bewohner beschäftigt. Sie „springen“ als Lückenbüßer von Station zu Station. Die Folge ist auch hier: Frustration. In der „Jungfernheide“ sind derzeit acht von zehn Zivis krank geschrieben.

Auch bei der Grundversorgung gibt es bereits heute Unzulänglichkeiten. Beschwerden mehren sich. „Um drei Uhr nachmittags war mein Vater immer noch nicht rasiert, und die Windel war noch nicht gewechselt“, erzählt Sabine Adomat. Zwei Wochen habe sie sich das angeguckt, dann hat sie sich bei der Heimleitung, bei der AOK und beim Sozialamt beschwert. Über die Folgen der Beschwerde macht sie sich keine Illusionen: „Bei meinem Vater wird das vielleicht besser. Doch mehr Personal wird auch in Zukunft nicht eingestellt werden.“

Sollte der Mindeststandard gesenkt werden, droht eine weitere Verschlechterung der Pflegequalität. Während sich die Krankenkassen der Argumentation der Bundesregierung anschließen, man müsse die Fachkräftequote individuell an die Heime anpassen, teilen Kritiker diese Meinung nicht. Dietmar Volk, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, sieht „die Billigpflege an die Tür klopfen. Dann ist es endgültig vorbei mit der Pflegeromantik.“ Die Anstellung geringfügig Beschäftigter und nichtexaminierter Kräfte werde aus Gründen der Kostenreduzierung zur Regel. „Das ist Verrat am Geist der Pflegeversicherung“, wie Volk sagt. Die Bewohner kämen nicht in den Genuß dessen, was ihnen nach der Pflegeversicherung zustehe und wofür sie eigentlich bezahlten. Eine derartige Entwicklung zeichnet sich bereits heute ab. „Momentan haben wir in unseren Heimen eine Quote von 66 Prozent an examinierten Kräften. Wenn jedoch eine wegfällt, wird sie durch eine Nichtexaminierte ersetzt“, bestätigte die Wilmersdorfer Sozialstadträtin Martina Schmiedthofer von den Grünen.

Beschweren können sich Bewohner und Angehörige bei den Krankenkassen. Auf deren Geheiß kontrolliert der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die Heime. Ob allerdings viele auf diese Möglichkeit zurückgreifen werden, ist zweifelhaft. Die meisten haben Angst, sich Nachteile einzuhandeln. Peter Kasza