Die italienische Admiralität auf der Anklagebank

■ Der Generalstab der Marine soll die Versenkung eines Flüchtlingsschiffes provoziert haben

Rom (taz) – Italiens Vaterlandsverteidiger haben eine böse Überraschung erlebt: Die Staatsanwaltschaft Brindisi scheint entschlossen, wegen der Versenkung eines albanischen Flüchtlingsschiffes am Karfreitag 1997 Anklage zu erheben. Mindestens 72 Menschen waren damals ums Leben gekommen, als die Korvette „Sibilla“ das Frachtschiff „Kater I Rades“ mit mehr als 300 Personen an Bord an der Fahrt nach Unteritalien zu hindern versuchte und dabei rammte. Eine bis heute unbekannte Zahl von Passagieren fiel dabei über Bord. Fünf Tote wurden gefunden. Die Leichen von 67 Frauen und Kindern, die sich im Schiffsinneren befanden, konnten erst ein halbes Jahr nach der Hebung des Schiffes geborgen werden.

Das Schiffskommando und das Verteidigungsministerium hatten stets betont, daß der Kapitän des Flüchtlingsschiffes die Schuld an der Tragödie trage – er sei einen Zickzackkurs gefahren und dabei mit dem Kriegsschiff kollidiert. Genau das glaubt aber die Staatsanwaltschaft nicht. Sie hat für die nächsten Tage den Chef des Generalstabs der Marine, Umberto Guarnieri, den damaligen Seebereichskommandanten, Admiral Alfredo Battelli, und zwei weitere hohe Offiziere zur Vernehmung vorgeladen und wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. „Das Oberkommando der Marine hat durch überharte Befehle die Katastrophe provoziert“, so Staatsanwalt Leone de Castris. Das Schiffskommando habe sich nur an die Weisung gehalten, das „Eindringen von Flüchtlingsschiffen in den italienischen Hoheitsraum mit allen Mitteln zu verhindern“ – und das war in diesem Fall nur durch Rammen möglich. Tatsächlich weist das Wrack mehrere Eindellungen auf, so daß von einem einmaligen Zusammenstoß keine Rede sein kann.

Das Verteidigungsministerium steht – bislang noch – zu seinen Matrosen: „Alle international geltenden Regeln wurden eingehalten“, hat Ressortchef Beniamino Andreatta verlauten lassen. Dabei, so die Anwälte von Hinterbliebenen, „muß Andreatta jedoch Kriegs- mit Zivilrecht verwechselt haben“. Nach letzterem hat kein Schiff das Recht, ein anderes zu rammen, es sei denn bei Gefahr für Leib und Leben. „Diese aber war von der Kater I Rades, was auch der letzte Matrose erkennen konnte, nicht ausgegangen.“

Staatsanwalt de Castris will seine Anklageschrift möglicherweise bereits im April dem Voruntersuchungsrichter übergeben, damit dieser über die Prozeßeröffnung entscheidet. Werner Raith