„Unter den Bräuten ist Steglitz die beste“

Die neuen Bezirke (Folge 4): In Steglitz und Zehlendorf, wo die Berliner am längsten leben und das höchste Haushaltseinkommen haben, will man sich mit der Bezirkszusammenlegung am liebsten überhaupt nicht beschäftigen  ■ Von Plutonia Plarre

Frisch gewaschen und gestriegelt steht Otto auf dem Trottoir des Teltower Damms vor einer Bäckerei und trinkt Kaffee. Immer, wenn sich in der Einkaufsmeile unter den Passanten ein bekanntes Gesicht zeigt – und das sind viele –, hebt er freundlich die Hand und grüßt mit einem fröhlichen „Hallöchen“.

Neben Otto auf dem Boden steht eine kleine Reisetasche mit einem säuberlich zusammengelegten Schlafsack und einer Wolldecke. Obendrauf liegen mehrere ungeöffnete Bierbüchsen. Der 45jährige Mann mit der Stirnglatze und den schulterlangen roten Haaren ist der Vorzeige-Obdachlose von Zehlendorf Mitte. Daß sein Erscheinungsbild so proper ist wie die Umgebung, wird ihm nicht nur mit Spenden gedankt: „Wenn ich mal ein paar Tage nicht da war, sind die Leute gleich ganz besorgt.“

Auch im Rathaus schräg gegenüber ist Otto ein Begriff. „Der geht bei uns manchmal auf die Toilette“, schmunzelt Bezirksbürgermeister Klaus Eichstädt (CDU). Anders als im armen Kreuzberg mit einer Vielzahl von Wohnungslosen kennt man in dem Nobelbezirk offenbar die wenigen Obdachlosen.

In den Prominentenvierteln Dahlem, Grunewald und Schlachtensee wohnen die Reichen. Gemessen an der Zahl der Einwohner (99.000) ist Zehlendorf nach Tiergarten zwar der zweitkleinste Bezirk, verzeichnet aber das höchste Haushaltseinkommen (3.800 Mark). Die Arbeitslosenquote beträgt 10,6 Prozent (Kreuzberg 27 Prozent).

Angesichts solch traumhafter Zustände ist es kein Wunder, das die Zehlendorfer Politiker die Gebietsreform mehrheitlich ablehnen. Der grüne Bezirk soll mit dem gleichfalls im Südwesten gelegenen Steglitz zusammengelegt werden. Auf der Bezirksverordnetenversammlung am vergangenen Mittwoch wurde auf Antrag der Grünen mit Stimmen von CDU und WUB (Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger) ein Dringlichkeitantrag verabschiedet. Darin wird das Bezirksamt aufgefordert, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß die geplante Zusammenlegung zum vorgesehenen Zeitpunkt „nicht stattfindet“. Die Begründung: Die Gebietsreform werde weder den Interessen des Bezirks gerecht, noch sei eine bürgernahe Verwaltung gewährleistet. Auch Einspareffekte seien kaum zu erwarten.

Auch Zehlendorfs Bezirksbürgermeister Eichstädt spricht von einer „gequälten Reform“, die nichts bringen werde. Er lehnt es rundweg ab, sich vor der Abstimmung am 26. März öffentlich mit den Folgen der „Zwangsheirat“ auseinanderzusetzen. Nur eines räumt er ein: Unter den zur Verfügung stehenden „Bräuten ist Steglitz die beste im Lande“.

Sein Kollege, der Steglitzer CDU-Bürgermeister Herbert Weber, einer der schärfsten Kritiker der Gebietsreform, sieht das genauso. „Warten wir erst mal den Beschluß ab“, wehrt er Fragen nach dem Standort des künftigen Bezirksamts ab und welchen gemeinsamen Namen das Kind denn tragen soll.

Geplant ist ein Bindestrich, zu neuen Wortschöpfungen wie Stegdorf oder Zehlensteg soll es nicht kommen. Weber versichert: „Unser Verhältnis zu Zehlendorf ist gut. Von der Sozialstruktur sind wir keine Antipoden.“ Auch unter den 188.000 Steglitzern – hauptsächlich Beamte und Angestellte – steht das Eigenheim sehr hoch im Kurs.

Ebenso wie Zehlendorf ist Steglitz eine Hochburg der CDU. Die extrem rechten „Republikaner“ sahnten bei den Wahlen 1992 nirgends so ab wie in Steglitz, wo sie auf knapp neun Prozent kamen. Aufgrund des in Steglitz beheimateten alternativen Mittelstands erfreuen sich aber auch die Grünen einer großen Anhängerschaft. Bei den Wahlen 1995 kamen sie auf satte 16 Prozent. Arbeiterviertel sucht man vergebens. Industrie war und ist in dem Bezirk ebenso wie in Zehlendorf kaum zu finden. Die minimale Gewerbeansiedlung konzentriert sich auf die Randareale an der Haynauerstraße und an der Goerzallee.

Die von der Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB) aufgestellte Zehlendorfer Finanzstadträtin Edeltraud Steuer hält die Zersiedelung der Randgebiete und die zunehmende Abwanderung für ein gemeinsames Problem beider Bezirke. Sowohl Steglitz als auch Zehlendorf verlören Teile ihrer Bevölkerung nach Teltow und Kleinmachnow. „Wir müssen uns überlegen, wie wir das verhindern können.“ Beide Bezirke müßten sich auch Gedanken machen, wie die ehemaligen Grundstücke der US-Armee bebaut werden sollen, ohne das Stadtbild zu zerstören. Auf den Flächen sind Wohnungen für Bundesbedienstete geplant.

Steglitzer und Zehendorfer haben laut Statistik die höchste Lebenserwartung in der Stadt. Aber in schnöden Bezirkskategorien wird im Südwesten allenfalls dann gedacht, wenn man sich mit anderen Bezirken vergleicht.

Sonst ist man einfach Lankwitzer, Licherfelder und Südender oder Dahlemer, Nikolasseer oder Schlachtenseer. An den intakten Kiezstrukturen wird sich durch die Bezirksreform voraussichtlich nichts ändern. Von Wannsee oder Licherfelde Süd aus gesehen waren die Wege „aufs Amt“ und zum Shoppen am Teltower Damm oder in der Schloßstraße schon immer weit. „Ich fahre in die Stadt“, wird es auch weiterhin heißen.

Die Meinung der Bevölkerung zur Fusion mit dem jeweiligen Nachbarbezirk ist geteilt, auch wenn sich bei einer zufällig zustande gekommenen Straßenumfrage der taz eine deutliche Mehrheit dafür aussprach. „Dem dickfälligen Behördenapparat tut es gut, abzuspecken“, war ein häufiges Argument. „Die sollen sich ein Beispiel an den Selbständigen nehmen und kostengünstig wirtschaften“, fordert ein Wäschereibesitzer am Asternplatz in Steglitz. Ein 45jähriger Kaufmann, der sich als Anhänger des „Kleinstaatgedankens“ outete und die Fusion als Ausdruck von „Größenwahn“ ablehnte, gehörte zur Minderheit.

Den Obdachlosen Otto interessiert die ganze Diskussion überhaupt nicht, solange er bleiben kann, wo er ist: „Ich bin 23 Jahre zur See gefahren. In Zehlendorf gefällt's mir am besten.“