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: Bäuche und Bräuche

„Tänze der Nacht“, Mi., 22.15 Uhr, B1

Über den schwingenden Brüsten ein stolz erhobener Kopf, die Hände selbstbewußt in die lasziv kreisenden Hüften gestemmt – die Bauchtänzerin: eine Nachtclub-Schönheit? Eine femme fatale à la Salome, verführerisch und männermordend? Eine Beschwörerin der Fruchtbarkeit?

„Tänze der Nacht“ von Angeliki Antoniou zeigte Frauen und Männer, die sich im Bauchtanz selbst verwirklichen und mit den Klischees zu kämpfen haben: Ragat zum Beispiel, die als 50jährige Tänzerin in Kairo noch immer gefragt ist. Einst schoß ein Cousin auf sie, weil im Orient Bauchtänzerinnen so verrufen sind, wie ihre Kunst etabliert ist. Jasmina hat ihren Beruf als Fotografin aufgegeben und ist von London nach Kairo gezogen, in das „Hollywood“ ihres Metiers. Die Popularität des Bauchtanzes im Westen erklärt sie sich damit, daß durch ihn emanzipierte Frauen ihre Weiblichkeit wiederentdeckten. Raksan heißt eigentlich Anja und tanzt in Berlin. Die Ex-Stuntfrau und Mutter setzt ihre Lebenserfahrung in eine selbstbewußte Bühnenpräsenz um. Doch ihre Auftritte bleiben ebenso eine Gratwanderung wie – auf ihre Art – die des Travestiekünstlers Tomasz, des Tänzers Horacio, der auf Perücke und künstliche Wimpern verzichtet und seinen behaarten Bauch zeigt: Klischees müssen bedient und sollen gebrochen werden.

Bauchtanz war einmal, in vorislamischen und vorchristlichen Zeiten, ein Fruchtbarkeitsritus. Heute scheint er zuweilen zum Striptease zu verkommen. Antonious Film dagegen zeigte Bauchtanz als universales Ausdrucksmittel in Orient und Okzident: als eine uralt-moderne Kunst, die Geschlechterrollen und -grenzen überschreitet. Sven Hillenkamp