Der Stein in der Stube

■ „Einbruch und Wahn“ – Steffen Kopetzkys Roman über schwer entfremdete Männer und wirklichkeitsnah verstörte Intellektuelle

Als ich Steffen Kopetzky vor einem Jahr zum erstenmal im Katalog von Volk & Welt sah, riß ich die Seite, auf der sein Roman vorgestellt wurde, heraus und archivierte sie voll finsterer Wut. Der junge Dichter sah aus wie ein Schnösel aus gutem Haus, sicher Nichtraucher, ein blasierter Streber. Die Textausschnitte im Katalog wirkten hochgestochen und waren garniert mit tausend wichtigtuerischen Philosophiezitaten.

Im ersten Buch von Kopetzky ging es um die Krise der abendländischen Kultur und andere Themen, die Zeit-Leser interessieren könnten. Später bekam Kopetzky in Klagenfurt einen Preis. Warum nicht ich? Als ich ihn längst vergessen hatte, lag dann sein zweiter Roman auf meinem Schreibtisch. „Einbruch und Wahn“, ein dezent bildungshuberisch anspielungsdebiler Idiotentitel, der sich blöd grinsend in die anderen „Unds“ der Literaturgeschichte mogeln möchte: „Masse & Macht“, „Schuld & Sühne“, „Sexualität & Wahrheit“, „Fix & Foxi“.

Doch seltsamerweise gefällt mir das Buch. Angenehm zu lesen. Spannend, obgleich nicht allzuviel passiert und obgleich die Helden nicht so superinteressant sind: scheiternde Intellektuelle in Berlin. Ein Philosophieprofessor und sein komischer Dozent, ein obdachloser Nachdenker, der gern John-Sinclair-Heftchen liest und freimaurerisch engagiert ist, ein scheiternder und ein ehemaliger Philosophiestudent, den der Abbruch seines Studiums immer noch schmerzt, und ein ironisch abgeklärter, leicht arroganter, arrivierter Alltagsphilosoph: Allesamt Männer, allesamt schwer entfremdet und durchaus wirklichkeitsnah gedanklich verstört. Die machen dann Sachen.

Am Anfang wird der Ich-Erzähler, ein junger Schriftsteller, von einem Stein, der das Fenster seiner Schöneberger Parterrewohnung durchschlägt, aus der Bahn geworfen. Er betrachtet den Stein, legt ihn als Inspirationsquelle auf seinen Schreibtisch, macht sich paranoide Gedanken, raucht und trinkt ganz überzeugend ununterbrochen und flüchtet dann in eine andere Wohnung. Der Steinwurf ist

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die Spiegelachse des Romans. Im ersten Teil sitzt der Philosophie studierende Dichter im Innern, das durch den Steinwurf aufgebrochen wird; in der „zweiten Untersuchung vom Stein“ steht er draußen und wirft selbst am Ende dem so schmierigen wie nervösen westfälischen Nachmieter den gleichen Stein in die Stube. Im ersten Teil fühlt sich der Dichter als halbwegs souveräner Chronist der Ereignisse, im zweiten entgleitet ihm die Wirklichkeit, und den ellenlangen Sätzen Kopetzkys schwindet zusehends das, wovon sie sprechen wollen. Das ist manchmal durchaus komisch, auch wenn der Held paranoid wird und schreibt: „Link ist ein Betrüger, der Hauswart ist ein debiler Sklave von Barst, der gleichfalls ein Betrüger ist. Auch Kirsch ist wahnsinnig, alle, die mich umgeben sind wahnsinnig.“

Die Sprache des Romans schlittert knapp am Bernhard-Epigonentum vorbei. Oft rühmt sich der Erzähler seiner Gefühls- und Gedankengenauigkeit, seines „Beobachtungsextremismus“. Gern schaut er sezierend aufs Geschehen und schreibt Sätze, von denen er zu meinen scheint, daß man sie auf ihn anwenden könnte: „Gerade scheiternde Philosophiestudenten, wie Zorn ja leider einer, trotz heimlichen vorhandenen, immensen Ehrgeizes, einer richtiggehenden Ehrgeizwucherung in Bezug auf das fabelhafte Meistern der Philosophie einer ist, wollen natürlich nichts anderes als Romane über die Wirklichkeit schreiben, um mit ihnen zu reüssieren und sich mit der Wirklichkeit derart, durch solch ein bitteres Tauschgeschäft, zu versöhnen.“

Lauter einfache Oppositionen: Innen/Außen; Selbstreferentialitäten des Dichters, die Wirklichkeit der Schrift versus die Wirklichkeit der Welt und so weiter. Manches klingt maniriert, manches doch sehr nach Kafka („die acht Oktavhefte“). Irgendwann schreibt Kopetzky, daß es darum gehen müsse, „die Wirklichkeit durch die Schrift herauszufordern, die Wirklichkeit durch geschickte Gedankenarbeit zunächst in einen Hinterhalt zu locken, sie dann durch gnadenlose Argumentation zu betäuben, sie zu packen und auf den harten Stuhl intensiver Inquisitionen (kursiv!) zu bringen“. Viel überflüssiges Wortgeklingel variiert den Zwanziger-Jahre-Gedanken, der in Kafkas Oktavheftnotizen doch irgendwie prägnanter geschrieben ist. Wobei die Frage, wieweit „Einbruch und Wahn“, das sich wie gesagt ganz prima liest, als Parodie verstanden werden will, nicht weiter interressiert. Detlef Kuhlbrodt

Steffen Kopetzky: „Einbruch und Wahn“. Roman. Volk & Welt, Berlin 1998, 256 Seiten, 34 DM