Blut, Boden, Skalpell

Ist mit Bayerns Ausscheiden aus der Champions League der Versuchsaufbau Trappatoni gescheitert?  ■ Aus Dortmund Christoph Biermann

Eine Woche nach seiner „Brandrede“ (Günther Jauch) inklusive jener donnernden Super-Metapher „Strunz!“, mit der Giovanni Trapattoni das Reden über Fußball in eine neue Bedeutungssphäre führte, ist für Bayern München nichts besser geworden. Im Moment steht die Zeitnahme für torlose Minuten bei 945 und die Zahl der Spiele ohne Sieg auf fünf. Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft ist nur noch theoretische Option, ein europäischer Titel nach dem 0:1 in Dortmund nicht einmal mehr das. Selbst Platz zwei in der Bundesliga und die Qualifikation für die kommende Champions League ist gefährdet. Der Gewinn des DFB-Pokals erscheint angesichts der großen Ambitionen nur mehr wie ein Trostpreis.

Seit Trapattonis allseits sympathisierend beobachtetem Ausbruch wird überall vom „großen Schnitt“ beim FC Bayern phantasiert. Mit dem Skalpell in der Hand wollen die heftig diskutierenden Chirurgen gleichsam faules Fleisch aus der Mannschaft schneiden. Strunz natürlich, Babbel, Basler, Zickler, Rizzitelli, vielleicht Scholl oder gleich „außer Olli (Kahn, d.Red.) könnt ihr alle geh'n“, wie die Bayern-Fans am letzten Wochenende forderten. Zu diesen Operationsphantasien hat sich eine ganz und gar unappetitliche Diskussion gesellt, in der die ernstzunehmenden Probleme der Vereine im Umgang mit ihren nach dem Bosman-Urteil unerhört gestärkten Angestellten vermischt werden mit einen unerträglichen Gesabbel und Gebrabbel um vermeintliche Charakterfragen.

Wahrscheinlich ohne es geahnt oder gar geplant zu haben, hat der Italiener Trapattoni mit seinen Auslassungen zu „Spielern wie Flasche leer“ einen zutiefst teutonischen Reflex ausgelöst. Denn Stars, Reichtum und Glamour in der Sphäre des Sports müssen hierzulande ständig mit durchpflügten Böden und blutgetränkten Kopfverbänden bestätigt werden. Daß das weit vom Weg zum großen Fußball abbringen kann, ist klar und belegte auch das streckenweise äußerst öde Spiel zwischen dem BVB und Bayern. Brav beherzigten beide Mannschaften die Forderung nach Blut, Schweiß und Tränen. Sie verwandelten die Partie in einen fußballerischen Infight unter Aufgabe fast jeglicher spielerischen Klasse. Das Ergebnis spielte deshalb nur indirekt eine Rolle. Da „um Millimeter“ (Franz Beckenbauer) gerungen wurde, hätte das Spiel trotz leichter Dortmunder Vorteile auch problemlos andersherum ausgehen können.

Außer Spannung blieb beim Aufeinandertreffen der beiden deutschen Großklubs also nicht viel übrig. Bei Dortmund ist das inmitten einer Saison des Übergangs schon lange nicht mehr anders zu erwarten. Beim FC Bayern verwundert immer mehr, wie sehr der spielerische Standard der Mannschaft gesunken ist. Wieder einmal rückte das schon notorische Problem der Bayern im zentralen Mittelfeld in den Blick. Eine Position die nun schon lange nicht adäquat besetzt ist und selbst beim Meisterschaftsgewinn im Vorjahr nie wirklich substituiert werden konnte. Das macht die Stürmer der Ära Trapattoni zu einsamen Männern, wie ein zunehmend frustriert und ohne Form spielender Giovane Elber beweist und wovon auch der jungenhaft entschlossene Hüne Carsten Jancker nicht ablenken kann. Wenn dann Verteidiger wie Babbel und Kuffour nicht die Klasse haben, 120 lange Minuten gänzlich fehlerlos zu spielen, türmen sich die Probleme schnell.

Zwangsläufig schließt sich die Frage nach der Autorenschaft für diese Kalamität an, die allein mit dem Verweis auf „Scheißmillionäre“ nicht zu beantworten ist. Denn bei allem Respekt, den Trapattoni nicht zuletzt bei der Mehrzahl seiner Spieler genießt, bleibt der Eindruck eines großen Mißverständnisses. Auch wenn sich die Mannschaft bereitwillig dem Dressurakt eines italienisch-defensiven Spielkonzepts unterzogen hat, so wird doch immer deutlicher, daß er ins Nirgendwo führt. Aber bedeutet die Krise der letzten Woche nun, daß der Versuchsaufbau als gescheitert angesehen wird? Oder werden nicht vielmehr anstelle des Konzepts die Protagonisten gewechselt? Die öffentliche und veröffentlichte Meinung ist sich einig und ruft vergnügt „Strunz!“. Doch inzwischen bekommt Trapattonis Ansprache an die Nation ein Geschmäckle davon, da wollte einer den Schwarzen Peter an seine Untergebenen weiterspielen. Ein wenig schlechtes Gewissen scheint der Bayern-Trainer deshalb bereits selbst zu haben und holte nach dem Spiel in Dortmund seine vermeintliche Grundsatzerklärung vom Sockel: „Ein Trainer muß manchmal provozieren.“ Das mag gelungen sein, genutzt hat auch das trotzdem nichts.

FC Bayern München: Kahn – Matthäus (110. Strunz) – Babbel, Kuffour – Fink, Hamann, Scholl, Nerlinger (110. Lizarazu), Tarnat – Jancker, Elber (101. Zickler)

Zuschauer: 48.500 (ausverkauft)

Tor: 1:0 Chapuisat (109.)

Borussia Dortmund: Klos – Feiersinger – Kohler, Cesar – Reuter (105. Zorc), Freund (79. Ricken), Möller, But, Heinrich – Decheiver (120. Schneider), Chapuisat