Schweigen und Tanzen

■ Reden über Techno - in "Relax" und "IM Techno" als Roman, in "Die Tickerlady" als Lebensbeichte einer Dealerin. Drei Autoren versuchen sich an der Aufgabe und scheitern

Techno erzählt nicht gern. Ob die Szene einfach nichts zu sagen hatte oder ob hier einer Strategie gefolgt wurde, nach dem oft verkündeten Tod des Autors einfach zu schweigen und zu tanzen – wenn sich zu Wort gemeldet wurde, dann mit Party-Nachbesprechungen in selbstgemachten Magazinen oder in studentisch geprägten Geschichtsbüchern, wo neue musikalische Traditionslinien erfunden wurden.

Wer sich nun vom Roman „IM Techno“ – Untertitel: „Stasi, Sex und Synthesizer“ – endlich eine Erzählung über wilde Exzesse in Kellern unbestimmter Vergangenheit erhofft, hat weit gefehlt. Alles bloß das nicht. Der Autor Markus Siewert erzählt die Passionsgeschichte eines schwulen Depeche-Mode- Fans aus der Stadt Suhl der Achtziger. Der überall aneckt, sich aber nicht beirren läßt und dem es gelingt, vom Staat anerkannter Musiker zu werden. Beinahe wird er erster Technopopstar der DDR, gerät aber in die Fänge der Stasi.

Erschließen sich zu Beginn die Nöte des einzigen Suhler Jugendlichen mit lila Haaren noch –, vielleicht gerade, weil der Autor von einem sprachlichen Klischee ins nächste fällt und sich so die Hilflosigkeit im Umgang mit den Autoritäten im sprachlichen Unvermögen spiegelt – verwandelt sich diese Perspektive schon bald in die Ernsthaftigkeit eines Bergdoktor- Groschenromans. Und spätestens wenn das erste Mal von Sex und Liebe die Rede ist, tönt es so sehr nach dem Harmoniebedürfnis eines romantisierenden Kleinbürgers, daß der Pulp-Charme des Nichtschreibenkönnens ins Reaktionäre umschlägt.

Daß diese Haltung sich nicht auf die Liebesszenen beschränkt, sondern souverän den ganzen Plot mitnimmt, dafür sorgt das irrwitzigen Ende: Dort stellt sich nämlich heraus, daß eigentlich Stasiseilschaften das Popbusineß beherrschen. Zwar kann der Held, kaum hat er dies herausgefunden, knapp einem Mordanschlag durch ein vergiftetes Kondom entgehen, aber manipulierte Autobremsen beenden zumindest das junge Raverleben seines Freundes.

Daß die auf der Buchrückseite angekündigte Flucht des Helden aus Ost-Berlin in den Westen genausowenig vorkommt wie „korrupte Manager und falsche Versprechnungen“, die „dem sensiblen Künstler die Eingewöhnung ins harte Musikbusineß West“ erschweren, paßt ins Bild.

Alexa Hennig von Langes „Relax“ spielt da in einer anderen Liga. Vom Verlag als eine Art deutsches „Trainspotting“ beworben und seit seinem Erscheinen im Herbst bereits in zweiter Auflage geht es in „Relax“ vor allem um das eine: Drogenkonsum. Ein Wochenende aus der Sicht eines Pärchens wird beschrieben, aufgeteilt in die Perspektive des Jungen und des Mädchens. Und während der Junge sich das volle Raverprogramm gibt – mit den Kumpels abhängen und kiffen, Pillen nehmen, in den Club gehen, saufen, Koks drauflegen, saufen, nach Hause fahren, nicht vögeln können, verstrahlt aufwachen und dann das gleiche noch mal – wartet seine Freundin zu Hause, wartet, langweilt sich, befriedigt sich selbst, telefoniert mit ihrer Freundin, wartet, schläft, macht ihm das Frühstück und wartet wieder. Das sind zwar nicht gerade progressive Geschlechterrollen, die „Relax“ da anbietet, aber bei einem Männer-Frauen-Verhältnis von fünf zu eins in einem durchschnittlichen Club hat diese Aufteilung durchaus einen Kern Wahrheit: Irgendwo müssen die Freundinnen ja stecken.

Wo Siewert jede seiner Personen mit einem Charakter und einer Geschichte ausstattet, mißtraut von Lange jeglicher Psychologie. Statt dessen regiert das Drogengeschwätz: „Habt ihr noch Pillen?“ – „Du hast doch schon zwei genommen!“ – „Ich merk' aber komplett gar nichts!“ – „Warte noch'n bißchen!“ – „Worauf?“ – „Vielleicht dauert's länger bisse ankommen!“ – „So lange? Merkt ihr was?“ – „Also mich spult's schon'n bißchen!“ So geht es endlos weiter. Doch trotz des genauen Ohrs für die Feinheiten der Drogendialoge, fehlt in „Relax“ ein zentrales Moment: das Soziale des Clubs.

Das Buch hat kein Gespür für die feinen Codes, die das Nachtleben regieren. Die graduellen Abstufungen von Coolness, die damit anfangen, den DJ zu kennen und beim gezielten Nichtgrüßen von Mißliebigen noch lange nicht aufhören. Wenn man umsonst am Türsteher vorbei will, wie in einer Szene die Hauptperson, reicht es nämlich nicht, ihm ein Bier auszugeben: Das bekommt er ohnehin umsonst. Auch die Musik, die „Wer legt auf“- und „Pumpt das“- oder „Pumpt das nicht“-Fragen, streift Alexa Hennig von Lange nicht einmal.

„Die Tickerlady“ dagegen ist der Lebensbericht einer Dealerin aus dem real existiert habenden Berliner Club Bunker, der vor zwei Jahren geschlossen wurde. Der Laden war, wie das adlige Pseudonym der Autorin Nancy schon andeutet, Treffpunkt der Drogeneinfahraristokratie der Stadt. Als in „Die Tickerlady“ einmal einem „Relax“-ähnlichen Club ein Besuch abgestattet wird, graut der Erzählerin vor den spießigen Studenten, die es sich nur einmal die Woche geben: Bloß zurück in den Bunker.

Nancy von Bunker macht keine Gefangenen. In haarsträubendem Ausmaße werden Drogen genommen, zu Hause die Nachbarn mit lauter Gabba-Musik terrorisiert, Drogen gekauft und verkauft. Begleitende Anfälle von Paranoia werden mit noch größeren Mengen Pillen und Peppen weggedrogt. Und immer wieder geht es in den Bunker, wo Nancy stolz um ihren Platz in der Dealerhierarchie kämpft, der irgendwo auf halben Weg zwischen Hausbesetzerdissidenz und Mafiastruktur liegt.

Daß die ganze Bunkerbande zwischenzeitlich auf Heroin landet, hört sich eher realistisch an als nach erhobenem Zeigefinger. Am Ende wird der Bunker polizeilich geschlossen. Es ist Freitag der 13., und alle stehen frierend auf der Straße. Warum der Ullstein-Verlag „Die Tickerlady“ ausgerechnet als Sachbuch deklariert hat? Soll es am Ende doch der Aufklärung darüber dienen, daß der Wunsch zu einer Gruppe dazugehören zu wollen geradewegs in die Drogenabhängigkeit führt?

Am Ende wird es doch Rainald Goetz sein, der den Technobericht aus seiner ästhetischen Agonie reißt. Für den Frühling ist ein neuer Roman angekündigt, der erste seit Goetz zu Techno konvertiert ist. Titel: „Rave“. Tobias Rapp

Markus Siewert: „IM Techno“. Roman. Edition A-verbal, Berlin 1997, 170 Seiten, 20 DM

Alexa Hennig von Lange: „Relax“. Roman. Rogner & Bernhardt (Zweitausendeins), Hamburg 1997, 310 Seiten, 25 DM

Nancy von Bunker: „Die Tickerlady“. Sachbuch. Ullstein, Berlin 1998, 202 Seiten, 24 DM